Episode II: Play Ball – nordamerikanische
Sportbegeisterung – but be careful not to drop it!
Wir als Europäer vergessen oft, dass wir unsere Identität
mit in die Wiege gelegt bekommen. Ob nun fröhlich heitere rheinländische
Mentalität, urbayrische engstirnige Denkweise oder nüchterne nordische
Seemannsphilosophie, unsere Verhaltens- und Denkweise basiert auf Jahrhunderten
der Sitten, Bräuche und Traditionen.
Junge Städte wie Vancouver hingegen versuchen permanent ihre
Identität zu finden. Während man in den 20er Jahren noch Las Couver redete,
versuchte man in den 50ern zum New York der Westküste aufzusteigen und weitere
30 Jahre später bekam man den Hongcouver Stempel aufgedrückt. Die Stadt
versucht sich weiterhin jung zu präsentieren, was sie durch eine gewisse
Öko-organic-Hippiementalität sowie ein Künstler und Musiker Kultur zu
realisieren vermag. Doch als Europäer kann man nicht umhin das ganze mit
einer „Bemühte-sich-stets-sehr-Attitüde“ zu belächeln.
In mitten dieser „midlife crisis“ spielt Sport natürlich
eine ganz große Rolle. Allgemein ist in Kanada Eishockey der größte und
beliebteste Sport und nicht nur einmal kam es in Vancouvers Vergangenheit zu
einem ausschreitenden Volksaufstand auf Grund eines verlorenen Eishockeyspiels (um genau zu
sein verlor man 2 mal den Staneleycup im entscheidenen 7. Spiel). Doch in den
Sommermonaten, ruht die Eishockeyliga und so rücken andere Sportarten in den
Vordergrund. Während Fußball, Tennis und Golf ab und zu mal durch die Medien
huschen, rücken Baseball und Canadian Football in den Vordergrund. So machten
Felix und ich uns also auf uns die beiden Sportarten einmal von näherem zu begutachten.
Die Vancouver Canadians (ja, ja, sehr kreativer Name) spielen
Baseball in der Minor League, was ist in etwa mit Deutschlands 2. Fußballbundesliga
gleichzusetzen ist. Das Spiel, das wir uns ausgesucht hatten wurde zwischen dem
ersten, den Boise-Hawks (Idaho-USA) und dem zweiten, den Vancouver Canadians, der Liga ausgetragen.
Als wir zu den Tickettischen kamen, um unsere Eintrittskarten abzuholen, sahen
wir überall Schilder, dass das Spiel ausverkauft sei. Das versprach eine mitreißende Stimmung. Zunächst kümmerten wir uns um ein echtes Stadionhotdog mit
Stadionpommes und dann bezogen wir unsere Plätze schräg hinter den Schlägern,
mit guter Sicht über das ganze Spielfeld.
Die Sitzränge waren zu diesem Zeitpunkt vielleicht zu ca.
30% gefüllt, doch es war ja auch noch relativ früh. Neben mir saßen zwei
scheinbar eingeschweißte Baseballfans mit Caps und T-Shirts, die schon gebannt
aufs Spielfeld starrten. Sonst wuselten jedoch überall Menschen hin und her,
holten Bier, Hotdogs, Popcorn oder Riesensandwiches und hielten nur kurz inne
um der amerikanischen und kanadischen Hymne zu lauschen, welche den Beginn des
Spiels einläutete. Als die quietschende Akustik der Stadionanlage endlich
überstanden war, ging das Spiel los, was allerdings niemanden (bis auf meine
bewegungslose Sitznachbarin) zu interessieren schien. Es wurde gepitched,
daneben geschlagen, getroffen, gelaufen, geworfen, gefangen, nicht gefangen,
Spieler rausgekegelt und sogar ein paar Punkte gemacht. Dabei versuchten wir immer
schön an den richtigen Stellen zu jubeln, wobei mir das nicht immer ganz
gelang, denn der Unterschied zwischen einem Strike (Schläger hat versagt) und
einem Ball (Pitcher hat versagt) ist nicht ganz so einfach zu verstehen, zu mal
die Aufgabe des Schiedsrichters zu sein scheint, möglichst kurz das Ereignis
anzuzeigen und danach seinen Helm vom Kopf zu reißen. So sah ich mich doch das
ein oder andere Mal mit strengen Seitenblicken konfrontiert, als ich an
falscher Stelle klatschte (in Fachkreisen spricht man auch von der höheren
Kunst der Baseballsymphonie). Während ich vorher gehört hatte, dass es beim
Baseball oft recht wenig Punkte gab, lief es bei uns doch ganz gut. Beide Teams
brachten einige Leute durch, sodass es nach 4 Innings noch recht ausgeglichen 5:3
für Boise stand. Es hatte jedoch den Anschein, dass dies den Größteil der Fans recht wenig interessierte. Das Stadion war immer noch höchstestens zu 50% gefüllt und die
Leute schienen sich mehr auf Essen, quatschen und das Fangen von
fehlgeschlagenen Baseballs zu konzentrieren, als auf das Geschehen auf dem
Platz.
Anfang des siebten Innings wurden alle auf einmal ganz
aufgeregt, denn offensichtlich stand bald eine Pause an. Das sogenannte
„seventh-inning stretch“ erwies sich dann auch als Highlight des Baseballabends.
Die „grounds crew“, die dafür sorgt, dass die Aschezone des Platzes glatt
gefegt wird, fing einen unbeholfenen Tanz an, während alle Zuschauer laut
jubeln.
Im Stadion liefen große Sushirollen-Maskotchen rum, die
jeder einmal anfassen wollte. Die „kiss cam“ suchte das Publikum nach
begeisterten Pärchen ab, die sich dann in die Arme fielen und gespielt schüchtern einen Schmatzer gönnten. Das Stadion war
während dieser Spielunterbrechung zwar immer noch nicht komplett gefüllt, aber
ein Großteil der Ränge waren doch besetzt. Und als auf einmal auch noch der
Ententanz losging, sprang sogar meine regungslose Sitznachbarin auf und stimmte
begeistert in Gesang und Hinterngewackel ein. Wir waren bei all dem Geschehen derweil einfach nur verdutzt.
Nach dieser Unterhaltungseinlage hielten die meisten Gäste
es nun aber auch wirklich mal an der Zeit zu gehen. Hinzukam noch, dass es zu diesem Zeitpunkt 11:3 für die Amerikaner stand, es so langsam kalt wurde, die Kinder müde quengelten und die
Eltern am nächsten Tag arbeiten mussten. Die Besucher, die noch übrig blieben,
tranken weiter Bier und versuchten mit mehr oder viel mehr weniger gekonnten
Tanzeinlagen auf der Videowand zu landen. Überhaupt schien das Ziel als
Baseballzuschauer zu sein entweder einen Baseball zu fangen oder aber
mindestens ein mal auf der Videowand aufzutauchen.
Wir verfolgten derweil das eigentliche Spiel bis zum bitteren Ende
und obwohl die Canadians noch auf 6:11 rankamen, konnte die Niederlage nicht
mehr abgewendet werden. Doch darum schien es ja auch gar nicht zu gehen und so
machten wir uns um eine schöne Erfahrung bereichert auf den Weg nach Hause.
Einige Tage später stand auch noch Sommersportartnr. 2 auf
dem Programm: College Football. Canadian und American Football unterscheidet
sich eigentlich nur in der Anzahl an Versuchen, die ein Team hat 10 yards zu überwinden,
bevor das Ei wieder an das andere Team abgeben werden muss. Auf den ersten Blick lässt sich jedoch kein Unterschied zwischen American und Canadian Football erkennen: Dicke, dünne, große, kleine, träge, flinke, kräftige und
schmächtige Männer reihen sich an der Seitenlinie auf und warten auf ihren
Einsatz. Da das Spiel, das wir uns anschauen wollten, ein Vorbereitungsspiel
der UBC (University of Columbia) war, hatte der Coach sich noch nicht für den
endgültigen Kader entschieden, sodass sich ca. 96 Menschen an der Seitenlinie
aufreihten.
Wie sich im Laufe des Spiels herausstellte hatte das junge
Uniteam aus Vancouver Vorbereitung auch noch bitter nötig. Einer ihrer
Quaterbacks (das sind die, die das Ei werfen oder weiterpassen) war zwar ein
guter Läufer, aber ein nicht ganz so guter Werfer. Der nächste, der schon in
seinem letztem Jahr war, war zwar ein guter Werfer, aber dafür inzwischen
ziemlich lahm. Der dritte schien weder werfen noch laufen zu können. Nach dem
dritten Quater lag Vancouver schon recht weit zurück und das Zuschauen wurde
ein wenig frustrierend. Doch dann kam der vierte Quaterback, Dominik Bundschuh,
ins Spiel. Dieser konnte sowohl werfen, als auch recht flink davon laufen und
geriet unter Druck auch nicht in Panik. Dass nun ein Österreicher der Beste
Quaterback des Teams war, war schon etwas bezeichnend. Bezeichnend war dann
auch, dass der Hotdogstand pünktlich zur Halbzeit neue Würstchen auf den Grill
legen musste und keine zu vekaufen hatte. Logistische Höchstleistung, wo doch der Ansturm zur längsten
Spielpause vollkommen unerwartet kam.
Insgesamt kann man vielleicht festhalten, dass die
nordamerikanischen Sportarten recht langwierig sind. Während einige vielleicht
sagen würden, dass das daran liegt, dass hier viel Lärm um nichts gemacht wird,
erlebe ich das Ganze doch etwas anders. So ein Sportereignis ist hier ein Teil
der Kultur und Tradition. Sich das Spiel anzugucken ist viel mehr als nur mit seinem Team
mitzufiebern, es geht viel mehr darum Zeit mit Freunden und Familie zu
verbringen, den Spielern auf dem Feld Anerkennung und Unterstützung zu zeigen,
den Mittwochabend oder Sonntagmittag gebührend mit „Game Day“ zu betiteln und
so Teil eines größeren Ganzen zu sein. Ein kleines Puzzelstück in der Suche
nach der eigenen Identität.
Episode III: Vancity – Vansterdam – Hongcouver: Die Stadt
mit den vielen Gesichtern
Eine Stadt, die Meer, Strände, Berge, Buchten, Fähren,
Wolkenkratzer und Segelflugzeuge hat, ist eine Stadt, die sich hervorragend und
gleichzeitig ganz und gar nicht für einen Kurzurlaub eignet. Einerseits gibt es
natürlich sehr viel zu besichtigen und zu sehen, aber andererseits ist es
unmöglich das Flair der Stadt in so kurzer Zeit vollständig in sich aufzusaugen. Und als ob
die Diversität der geographischen Lage nicht schon genug zu bieten hätte, muss
man sich auch noch mit der kulturellen Vielfältigkeit herumschlagen. Im Osten
Vancouvers lag z.B. lange Zeit ein Viertel, das hauptsächlich von Italienern
und Griechen bewohnt wurde, doch als Chinatown immer weiter aus Downtowns heraus
wuchs, wurden viele der Südländer noch weiter in die Vororte gedrängt, während
andere eisern in ihren Läden und Straßen ausharrten, sodass man heute mitten in
Chinatown einen der ältesten italienischen Supermärktchen, welches seit 1930 in
fester (Mafiosi?) Familienhand ist, finden kann.
Vielleicht ist es wirklich am Besten unsere
Stadtbesichtigungen kulinarisch einzuteilen.
1. British –
Fish&Ships: Für den ersten Tag hatte ich gleich eine der schönsten
Aktivitäten geplant. Südlich der Halbinsel, auf der sich Downtown befindet,
gibt es einen langen Fußgängerweg unterhalb der False Creek Bucht. Bei strahlenden Sonnenschein
spazierten wir entlang des Wassers, vorbei an Segelboten, Wassersportlern,
Gänsen, Joggern, Radfahrern und anderen Touristen.
An einem kleinen Bootshaus gab’s zur kurzen Stärkung
Fish&Ships bevor wir uns weiter auf den Weg zu meinem Lieblingsstrand,
Kitsilano Beach machten, wo wir uns erholten und den Sonnenuntergang genossen.
2. Japanisch – Shushi,
Tempora & Yakitori: Ganz bei mir in der Nähe befindet sich der
sogenannte Commercial Drive. Dieser hat alles zu bieten, was der Feinschmecker,
Biertrinker, Kaffeeliebhaber oder sonstige Exot so zu suchen vermag.
Orientalische Restaurants sehen von außen so aus, als ob man aus Holzschalen
trinkt und von Bauchtänzerinnen bedient wird, alternative Kaffees bieten
vegetarisches, veganes und (ganz wichtig!) Gluten freies Essen an. Das
belgische Bierkaffee hat die größte frisch gezapfte Bierauswahl in Nordamerika.
Beim Argentinier gibt’s Steak, beim Mexikaner Wraps. Türken, Griechen und
Italiener bieten in Minisupermärkten frisches Gemüse und heimische Spezialitäten
an. Für moderne Business Leute gibt’s saubergeleckte Stehkaffees. Und die
Krönung des ganzen ist ein kleiner Park, in dem Kinder spielen, Penner betteln,
Alt-Hippies Gitarre schrummeln und alle gemeinsam einen Joint rauchen.
Wir entschieden uns schließlich für ein kleines japanisches
Restaurant, in dem ich auch schon an meinem ersten Abend gegessen hatte. Neben
dem verdammt gutem Essen konnte man dort live beobachten, wie Fisch vom Koch
mit einem Brenner flambiert wurde. Außerdem wurden die Sushiplatten mit
wunderschönen Rettichblumen verziert, die zudem noch ganz hervorragend
schmeckten.
3. Japanisch/Kanadisch
– Japadog: Kanadischer Volkssport ist unter anderem Essenswagen mit
diversen Sauereien aufzustellen und die Leute mit kreativen Perversitäten zum
snacken zu überreden. In Vancouver gibt es ganze Touren, die sich einmal durch
die „Food stands“ futtern, wobei „Pig on the street“ ein Wagen, bei dem jedes
Gericht (auch Gebäck) Schweinespeck enthält, das absolute Highlight zu sein
scheint. Wir wagten uns an einen Japadog heran. Man muss wissen, dass die
Kanadier ihre Hotdogs lieben. Smokeys, wie die gesmokte Wurst auch genannt wird,
schmeckt zwar wie abgelaschte Schuhsohle (zumindest im Vergleich zur deutschen
Wurst), doch tut man genügend Senf und Ketchup hinzu, lässt sich das ganze
Gebilde gut verzehren. Nun kam jemand besonders Cleveres auf die Idee, man
könne so einen Hotdog ja auch einfach mit japanischen Zutaten verfeinern.
Klingt absurd, ist aber gut. Zumindest wenn man auf abgefahrenes Essen steht.
4. Afrikanisch/Nordamerikanisch
– Yamfries: Ich muss gestehen, dass ich schwer verliebt bin. Und zwar in
die Süßkartoffel. Allein schon der Name: Yam. Wunderbar. Was Yam heißt, muss
auch „yummy“, also sozusagen Yam-my sein. Doch damit nicht genug. Denn direkt
an der Waterfront, im Norden Downtowns, mit Blick auf die Berge, zwischen dem
Wasserflugflughafen und der Hauptanlegestelle für Kreuzfahrtschiffe, gibt es
einen Pub, der nicht nur frisch gezapftes lokales Pils verkauft, sondern auch noch
super leckere Yam Pommes anbietet. Ich glaube wir waren innerhalb einer Woche
gleich dreimal da, denn der Joli ihr Yam, ist von nun an wie dem Holländer
seine Kartoffel.
5. Griechisch –
Moussaka & Souvlaki: Einen etwas kleineren Commercial Drive, dafür aber
komplett in homosexuell, gibt es in Downtowns Süden. Auf der Davie Street findet
man ebenfalls allerlei Restauraunts, Kaffees, Kneipen, Bars, Bäckereien,
Fastfoodläden und Bistros. Wir hatten uns für einen Griechen entschieden, bei
dem die Schlange in der Regel bis zum nächsten Restaurant reicht.
Wir (schon vorgewarnt) waren allerdings rechtzeitig da,
sodass wir nur einige Minuten warten mussten, bevor wir so richtig reinhauen
konnten. Das Essen war phantastisch, aber auch ziemlich viel, sodass ich mich
am Ende kaum noch bewegen konnte. Gott sei Dank rollte Felix mich bergab in die
English Bay, wo wir am Strand den Abend ausklingen ließen.
6.
Mediterranian/Exotic – Platter for 2: Wie man sich nun vielleicht denken
kann, herrscht in Vancouver eine recht große Konkurrenz zwischen Gaststätten,
da es einfach unzählige davon gibt. Doch fast alle lassen sich
irgendetwas besonderes einfallen, um neue Gäste zu locken. So gibt es im
Sanafir Dienstag Abend alles Essen zum halben Preis (ob der Lebensmittellieferant
dort immer Mittwochs kommt, sollte man wohl besser nicht mutmaßen). Während ich
auf einem ca. 30 cm tiefem Launchstuhl irgendwo unterm Tisch verschwunden war,
konnte Felix die Geschehnisse auf der Granvillestreet, eine der belebtesten
Straßen Vancouvers gut beobachten. Busse, Bullen, Punks, Tussen, Zuhälter,
Skater, Rocker, Schnösel, Backpacker, Musiker, Tracker, Stöckler, Penner,
Studenten und Touristen scheinen sich zu gleichen Teilen über die
Granvillestreet zu schleppen, da auch hier das Angebot wieder weitumfassend ist
(vom Sexshop bis zum Nobelschuppen, aber das ist eine andere Geschichte). Wir
genossen also eine zusammen gewürfelte Essensplatte, mit Fleischbällchen,
frittiertem Gemüse, Linsensalat, Calamaris, Spare ribs und Brot, Felix die
Sicht und ich den Wein. Schlemmen im Herzen Vancouvers.
7. Italienisch –
Gelato: Wer gewinnt einfach mal 2012 das Florence Gelato Festival? Richtig,
ein Kanadier. Die Bella Gelateria liegt praktischer Weise direkt neben meinem
neuen Yam-fries Lieblingspub, sodass sich zwei Leidenschaften gut mit einander
verbinden lassen. Dabei überzeugt die Eisdiele nicht nur mit ihrer Lage oder
etwa mit ihrem vorzüglichen Schokoladeneis, sondern auch mit Mut zum
ungewöhnlichen. So kürten Felix und ich „salziges Karamel“ zum Sieger der
probierten Eissorten.
Natürlich haben wir uns nicht nur durch Vancouver
durchgegessen, sondern sind auch ordentlich über die Straßen gewälzt. Doch die
Geheimnisse und Anekdoten der Stadt hebe ich mir (soweit sie noch nicht verraten habe)
für ein anderes Mal auf.
Episode IV: Von Bergen und Bären: Warum Berge stets rufen
und Bären keine Limonade verkaufen
Ein großes Muss in Vancouver, laut Reiseführer und auch
andern Internationalen, mit denen ich gesprochen hatte ist der Grouse Mountain.
Naiv wie ich war und bin, zudem auch nicht aus meinen Fehlern lernend, dachte ich mir,
dass so eine kleine Wandertour ein schöner Programmpunkt für den
Wochenendfeierabend sei. So nahmen wir am Freitag Nachmittag den Seabus in Richtung Nordvancouver,
stiegen in einen Bus um und ließen uns am Fuße des Berges absetzen. Dort
trafen wir auf allerlei Leute, die sich dehnten und stretchten, Joggingschuhe
sowie Laufhosen trugen und uns mit hoch motivierter Miene entgegen blickten.
Der Kanadier schien so einen Aufstieg sportlich ernst zu nehmen, doch nach
meiner Erfahrung der olympischen Spiele, bei denen jeglicher Versuch des
Abschneiden eines kanadischen Teilnehmers in höchsten Tönen gelobt wurde (nach
dem letzten Platz heißt es hier nämlich „tremendous effort!“), beunruhigte mich
das ganze noch nicht. Guten Mutes ging es also los. Immer bergauf. Über
Wurzel, Stock und Stein. Und wieder über Wurzel, den nächsten Stock und dann
den nächsten Stein, wobei sich alles immer ca. 2 Meter über dem vorherigen
befand. Als ich gerade bereit war, meine Lunge das erste Mal auszukotzen,
verkündete ein nüchternes Schild, nun sei das erste Viertel des Weges
geschafft. Hallelujah! Ich hatte zwar gelesen, dass der Trail 2.9 km lang sei,
aber von den 853 zu überwindenden Höhenmetern war nirgendwo die Rede gewesen
(oder aber ich hatte den Teil gekonnt verdrängt). Die schlaksigen,
durchtrainierten Bergstürmer, die uns von hinten überholten, waren genauso
wenig motivierend wie hechelnden Halbleichen, die wir am Rande der Strecke
zurückließen. Zumal ich mir sicher war, dass mein Kopf mindestens genauso rot
und mein T-Shirt wahrscheinlich noch verschwitzter war, als die der
pausierenden andern Verrückten, die sich an diesen Aufstieg begeben hatten. Das
einzige, was am Ende tatsächlich ein bisschen Beine machte, waren Kommentare
bezüglich unserer Alltagskleidung, da diese immerhin raunend als
zusätzliches Hindernis erkannt wurden.
Nach etwas mehr als einer Stunde hatten wir es dann
tatsächlich geschafft. Die Gipfelstation war erreicht, die Lunge zerplatzt, der
Körper entschwitzt und die Muskeln übersäuert. Wer wissen möchte, wie man nach
diesem
http://www.grousemountain.com/grousegrind
Trail so aussieht der schaue sich die nachfolgenden Bilder an, wer nichts von
Zombiekunst hält, scrolle bitte schnell weiter nach unten.
Oben wurde man dann jedoch belohnt. Zunächst natürlich mit
einem kühlen Bier, dann mit einer atemberaubenden Aussicht und schließlich auch
noch mit dem Anblick zweier Grislibären. Diese verkauften zwar keine Limonade
(neben einem Nahtoderlebnis hatte ich während des Aufstiegs auch gewisse
Wahnvorstellungen), saßen dafür aber drollig und munter in ihrem Gehege.
Anschließend ging’s dann mit der Gondel wieder bergab, da
der Trail runter einfach zu steil und gefährlich ist. Während wir auf die
Stadt zusteuerten, neigte sich schließlich auch der Tag zu Ende und so tauchten
wir in Vancouvers Nacht ein.
Nach dieser extremen Bergerfahrung stand mir der geplante
Sonntagsausflug nach Whistler ein bisschen vor Kopf. Noch so eine Kraxeltour
hätte ich nun wirklich nicht überlebt und so wandte ich das Unheil ab, in dem
ich mir am Samstag auf ebener Strecke und ohne sichtbares Hindernis (es schien
dann doch eine leicht hervorstehende Wurzel zu geben) den rechten Mittelzeh
brach. Dies boykottierte zwar nicht den Trip an sich, aber doch behinderte es mich
ausreichend, um Berggipfelerklimmungen zu vermeiden.
So wurden die Programmpunkte auf der Whistlertour also recht
überschaulich gestaltet. Dreimal Wasserfall, zweimal See und ein langer Spaziergang.
Das absolute Highlight ereignete sich allerdings am
Vormittag. Ich hatte gerade mein Aufwachritual mit einem Sprung in den See
beendet und versuchte mich daran durch die Sonne spazierend etwas zu trocknen, als wir vor uns auf dem Weg auf einmal ein kleinerer Menschenauflauf erblickten. Felix
scherzt: „Da sind jetzt ein paar Bären. Und die Mama sitzt gleich daneben.“ Ich
hatte nämlich noch kurz vorher den Funfact zum Besten gegeben, dass Bären nur
gefährlich sind, wenn sie Junge im Schlepptau haben. Kaum hatten wir also den Menschenauflauf
erreicht, sahen wir im Gebüsch, glücklich vor sich hinmümmeln eine Bärenmama
mit ihren zwei Jungen. Da wir nicht ganz so mutig wie der ein oder andere
tollkühne Tourist waren, muss man leider viel Vorstellungskraft walten lassen,
um wirklich einen Bären im Gebüsch erkennen zu können, aber ich denke, die
dürfte jeder von euch aufbringen können.
Whistler ist also auf jeden Fall einen Ausflug wert. Auch
wenn’s noch nicht schneit und man sich noch zu Fuß durch die Gegend begeben
muss. Und nach meinem Fazit ist Whistler im Gegensatz zu Victoria richtig
authentisch touristisch, wobei der Versuch ein Alpendorf nach Nordamerika zu
bringen in einem touristischen Mountain-Phantasialand geendet ist.
Japanischer Funfact of the day: In Japan sagt man, dass Leute, die jemanden vermissen einen ganz langen Hals bekommen, weil sie immer nach der geliebten Person Ausschau halten. Ich hoffe also, ihr seht alle aus wie Giraffen, wenn ich wiederkomme!