Mittwoch, 28. Mai 2014

Blogeintrag 28.05. - Erna und Ich

Letzt’ unterhielt ich mich auf dem Nachhauseweg mit Erna über Vancouver. Ich: “Was meinst du Erna, was macht Vancouver zu einer der lebenswertesten Städte weltweit?“ Erna: „Wiewüüp, wiewüüp“. Für alle, die Erna noch nicht kennen, Erna ist mein Fahrrad. Genauer gesagt eine treue Seele von einem Rad. Zuverlässig trägt sie mich über Stock und Stein, halsbrecherisch stürzen wir uns Berge runter, wiederstrebend ächzen wir bergauf. Zugegebener Maßen ist Erna nicht gerade die schnellste (daher auch Erna, die Ente), doch dafür möchte ich sie wirklich nicht verantwortlich machen, denn glaubt man dem Aufkleber, den sie trägt, so ist sie schon seit den 70er Jahren unterwegs. Da wir auf ansteigender Strecke oft in hitzige und schweißtreibende Diskussionen geraten, haben wir inzwischen einen Kompromiss ausgearbeitet: Bergauf geht’s mit dem Bus, wo Erna stets vorne auf einer Art „Fahrradstapler“ mit düsen darf, bergab und auf ebener Strecke wird geradelt.

 
So kam es also, dass wir uns letzt’ auf dem Nachhauseweg über Vancouver unterhielten. Es gibt 2 beliebte Fahrradstrecken, die von der Uni nach Kitsilano führen. Eine verläuft direkt am Pazifik entlang, eine wunderschöne Strecke mit Wasser zur linken und Vancouver stets am Horizont auftauchend. Die Strecke ist allerdings insgesamt etwas länger und führt über einen relativ schmalen Fahrradweg, sodass man sich bei gutem Wetter unter starkem Konkurrenzdruck gegen übrige Mitfahrer durchsetzen muss. Erna und ich sind da ja eher von entspanntem Gemüt, sodass wir meist die andere Strecke wählen, die über eine verkehrsberuhigte Straße durch Wohnsiedlungen führt. Vorgärten, sowie Bürgersteige sind begrünt, Autos müssen stoppen, sodass man in schöner Atmosphäre ungestört quietschend nach Hause radeln kann. Die schönste Stelle kommt kurz nachdem man den Campus verlässt, gerade nachdem man auf die 8th Ave. eingebogen und den ersten Berg heruntergejagt ist. Plötzlich taucht Vancouver irgendwo unter einem auf. Es ist total surreal. Erst sieht man noch riesige, schnee-bedeckte Bergketten, dann erscheint ein kleines Stück Pazifik und Vancouver schuhkarton-groß am Horizont. Genau an dieser Stelle, fragte ich also Erna, warum sie denken würde, dass Vancouver als so lebenswert eingestuft wird. 


Man mag es vielleicht nicht glauben, aber wenn Erna einmal anfängt, ist sie echt gesprächig. Eigentlich schnattert sie ständig, bei jedem Tritt sozusagen. Nur selten ist sie mal verstimmt und gleitet stumm durch die Straßen der Stadt. Erna unterbreitete mir also sofort alle möglichen Theorien. Wir waren uns eigentlich einig, dass Vancouvers Skyline an sich nicht so atemberaubend ist. Die Hochhäuser, die Downtown prägen scheinen alle vom gleichen Architekten entworfen zu sein und funkeln in einem kühlen grau/silber den umgebenden Buchten entgegen. 


Auch Downtown ist relativ unspektakulär. Es gibt kein Empire-State-Building, keinen CN-Tower, keinen Eifelturm, oder gar auch nur Bremer Stadtmusikanten. Man muss schon ein bisschen suchen bis man die Schätze Downtowns entdeckt. Der wahre Zauber liegt allerdings in der Tat nicht in der Architektur oder den Sehenswürdigkeiten, der wahre Zauber wird von einem einsamen Kunstobjekt symbolisiert: Dem Pixelwahl. 


Ich habe keine Ahnung, ob der Pixelwal wirklich Pixelwal heißt. Doch als ich vor 2 Jahren eine Stadtführung machte, auf der uns auch der Wal präsentiert wurde, habe ich mich gleich in ihn verliebt. Douglas Coupland entwarf die Statue in Jahre 2009, um den Clash bzw. den Zusammenstoß zwischen Natur und moderner Digitalisierung zu symbolisieren. Und genau das ist es, was Vancouver so besonders, und meiner Meinung nach auch so lebenswert macht. Zunächst einmal ist überall Natur, insbesondere in Form von Wasser. Allein in Vancouvers unmittelbarer Umgebung gibt es 6 Stadtstrände (und das beinhaltet keinerlei Strände in den Vororten sowie Nord oder West Vancouver). An den Stränden liegen riesige Holzstämme, die als Windschutz für Sonnenbader oder Sitzgelegenheit für Sandhasser dienen. An einigen Stränden wird das „Driftwood“ zu Kunst umgestaltet, alles aufgeräumt und naturnah gehalten. Doch auch wenn man nicht am Strand liegt ist das Wasser Teil des alltäglichen Daseins. Robben, Seeadler, riesengroße Monstermöwen (ich bin wirklich der festen Überzeugung, dass diese Möwen kleine Hunde in einem Habs verschlingen könnten), Eichhörnchen (besonders schwarze) sowie Waschbären prägen das Stadtbild. Direkt neben dem Pixelwal starten Wasserflugzeuge genau da, wo bei ruhigem Betrieb Seehunde auftauchen. Doch nicht jeder Mensch mag das Geheule von Möwen, den Geruch des Ozeans oder das Plätschern von Wasser (der Pazifik ist in der Tat sehr pazifisch, von tosenden Wellen kann ich also nicht berichten). Für diese Menschen gibt es allerlei Berge, welche die Stadt umzingeln. 


Bei all dem kommt eins vielleicht ein bisschen zu kurz: Das Großstadtleben. Auch wenn in „Metro-Vancouver“ also dem gesamten Stadtbereich knapp 2.5 Millionen Menschen leben, wohnen im inneren Stadtkern lediglich 600 Tausend. In bestimmten Ecken surrt die Stadt dennoch gerade zur touristischen Hochzeit (also im Sommer) lebendig vor sich hin, doch dazu wird es wohl erst nach dem Sommer mehr zu berichten geben. Im Winter hingegen ist die Stadt auch schon mal ein bisschen einsam und leer (angeblich ist jede/r Vancouverianer/in in jeder freien Minute Skifahren oder Snowboarden). Vielleicht zu viel Digitalisierung und zu wenig Natur in den grauen Monaten?


Ich: „Wir sollten also noch mal den Pixelwal besuchen gehen, Erna.“
Erna: „Wiewüüp, quietsch!“

Mittwoch, 14. Mai 2014

Blog Eintrag 14.05. – It’s been a while!

Trotz guter Vorsätze zum neuen Jahr, stets wiederkehrender „Achja-Momente-der-Blog“ und sehr erlebnisreichen vergangenen 10 Monate, habe ich es versäumt eifrige Reiseberichte nachzulegen. So frage ich mich jetzt: sind ellenlange Reiseberichte noch zeitgemäß? Passen 1500 Wörter persönliche Erfahrungen überhaupt noch zwischen Coffee-to-Go’s, Emailschecken an Bushaltestellen, nur-mal-eben-kurz bei Facebook reinschauen, die spektakulärsten Online-Schlagzeilen, allgemeine Quantität, auf den Punkt gebrachte Kurzinformation der digitalen, modernen Onlinewelt, nur mal eben schnell und zwischendurch? Nun sitze ich hier, gerade mal 27 Jahre alt und schon schimpfend wie rheinische Marktweiber, überrollt von der Kurzlebigkeit unseres alltäglichen Seins, eine Spur altmodisch vielleicht, nichts desto trotz, anpassungsbereit. Anpassen also: In der Kürze liegt die Würze. Der Vorsatz ist gefasst: Informationsschnipsel meines Lebens auf den Punkt kürzen und hochfrequenter aufs digitale Papier bringen. Los geht’s.

Als ich also letztens mit einer Sektflasche (selbstverständlich im nordamerikanischen Papptütenlook) in der einen und einer schwarzen Teflonpfanne, 29 cm im Durchmesser, in der anderen Hand durch Kitsilano lief, fiel mir auf, dass die Leute guckten. Es war kein unangenehmes Glotzen oder aufdringliches Starren, es war eher eine belustigte Interaktion zwischen mir, der Sektflasche, der Pfanne und den andern Fußgängern. Ein kurzes Aufblicken von den Smartphones, Ausstöpseln der Kopfhörer, einen Lachen, ein Nicken, ein flotter Kommentar, erstaunte Blicke, Sonnenschein. Ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus. Nicht etwa, weil ich mittels Sektflasche und Bratpfanne die Nachbarschaft zu erheitern schien, sondern, weil ich mich Teil des Ganzen fühlte. Meine Schritte fanden ihren Weg iwe von selbst, mein Kopf war entspannt. Eben noch zum Metzger, schnell noch beim China-Türken rein, dann noch Grillanzünder im Supermarkt besorgen. Schritte, die noch vor einiger Zeit unbekannt waren, aufregend, neu, nun automatisiert und normalisiert. Angekommen in Kits, die stille kleine Schwester des modernen Vancouvers.


Kitsilano ist also unser, Jan und mein, neues zu Hause. Zwischen internationaler Vielfalt, veralteten „Real-time-hippies“ (so gibt es hier beispielsweise ein 24-Stunden geöffnetes vegetarisches Restaurant direkt gegenüber) und internationalen Berühmtheiten, die sich riesige Häuser direkt an den Pazifik setzen, versucht der Stadtteil einen Mittelweg aus hipper, spießiger, weltoffener Kleinbürgerlichkeit zu finden. Abenteuerlich zusammen gehämmerte Holzhäuser in allen, Farben, Formen und Größen, phantasievoll gestaltete Gärten, schattenspendende Kastanien, Platanen, Kirschblüten- und Ahornbäume; letztere U-förmig zurecht geschnitten, um neben dem oberirdischen Stromnetz friedlich zu existieren. Liebevoll angelegte, beblumte Minik-Kreisverkehre auf den Nebenstraßen, elektrische Busse auf den großen Verkehrsadern. Kleine Geschäfte neben angesagten Cafés, größeren Ketten, Supermärkten oder Obst- und Gemüsehändlern auf der 4th Avenue und dem Broadway, alte Autoreifen und Holzbretter zu Schaukeln und Kletterhilfen zurechtgeschustert in, um, und an Bäumen befestigt in den übrigen schachbrettförmigen Straßen des Stadtteils.
 



Wie es sich für Vancouver-Neuling so gehört, wohnen wir in einem sogenannten „basement apartment“, kühle, dämmerige, finanzierbare Gemütlichkeit zwischen inflationären Preisen auf Vancouver’s Wohnmarkt. Aber wen stören schon niedrige Decken und graues Morgenlicht, wenn der Pazifik einen Steinwurf entfernt ist, das Gemüse in den eigenen Beeten eingepflanzt ist und eine eigene kleine Terrasse nur darauf wartet für den Sommer hergerichtet zu werden? So lebt es sich hier vor sich hin; schnell gefundener Alltag im überschaubaren Kitsilano, irgendwo im Südwesten von Kanadas großer Stadt im Westen.

        Vancouver in der Ferne. 20 minutes down the road...
3rd Avenue, Blick auf unsere Straße
 Einen Steinwurf entfernt: Der "secret beach"