Mittwoch, 21. August 2013

Japanreise zweiter Ausschnitt - 22.05.-10.06.2013


Japanische Begegnungen

Die meisten Japaner sind nicht sonderlich vertraut mit Touristen. Immer wieder begegnet uns die Frage: "So why did you come to Japan?" Überall herrscht große Verwunderung warum zwei "weiße" junge Frauen allein durch Japan reisen. Vielleicht auch deswegen, weil es in der japanischen Kultur sehr unüblich ist die eigene gewohnte Umgebung zu verlassen (man denke an die nach Europa reisenden Japaner, die meist in Rudeln auftreten und dabei oft unter sich bleiben). Meine Antwort auf jene Frage fällt kurz und simpel aus: Ich habe japanische Freunde, die ich gerne besuchen würde. Diese Auskunft wird zwar mit Erstaunen jedoch auch mit einem gewissen Grad an Zufriedenstellung hingenommen: "Ah, so nice!" Seejas Beweggründe hingegen sind andere: Sie möchte für die Uni japanische Bäder untersuchen. Diese Information führt zunächst zu vollkommener Fassungslosigkeit und anschließend zu großer Belustigung. Warum? Naja, sagen wir einfach Mal, dass 2 weiße deutsche Damen in der japanischen Badekultur in der Regel nicht vorkommen. Nur folgerichtig, dass bei mir der Gedanke an den bevorstehenden Sento (japanisches Bad) Besuch zu diversen Gefühlsregungen führt, wobei allgemeine Panik die Situation wohl am Zutreffendsten beschreibt.

Was ist denn nun überhaupt so besonders am japanischen Bad? In erster Linie unterscheidet sich der Sentobesuch von jeglichem mir Vertrauten, da es in Japan eine langjährige traditionelle Badekultur gibt, die nichts mit Strandurlaub an der Nordsee oder auf Mallorca, Quietscheentchen in der Badewanne oder etwa überchlorten deutschen Schwimmbädern zu tun hat. Es gibt hier in Japan viele kleine Traditionen, die man auch heut zu Tage noch einzuhalten versucht. Das typischste Beispiel ist sicherlich das Tragen von Hausschlappen. Schuhe im Haus ist ein Ding der Unmöglichkeit, doch da hört es nicht auf. Es gibt Schlappen für den Garten, für die Toilette, für's Haus und schlappenlose Bereiche (z.B. den Schlafbereich). Während jeder Tourist wohl mindestens einmal gedankenverloren mit den Toilettenschlappen ins Wohnzimmer zurück rennt (die gesenkten Blicke weiten sich), ist es für Japaner ein selbstverständliches Gesetzt der Reinlichkeit für verschiedene Bereiche verschiedene Schlappen zu verwenden. Genau um diese Reinlichkeit ist auch Dreh- und Angelpunkt der Tradition des Sentos. Während in gut bürgerlichen deutschen Familien das Badewasser am Wochenende für alle Kinder gleichzeitig oder auch nacheinander reicht, badet der Japaner sich von Grund auf anders: Zunächst schrubbt und schrubbt an. Rubbelt sich bis zur zweiten oder dritten Hautschicht durch, bis man vollkommen abgewaschen ist. Erst danach darf man sauber und rein ins warme Becken steigen. Traditionell gingen die Japaner sicherlich ins öffentliche Sento, da sie zu Hause kein oder nur bescheidende Badeausstattung hatten. Heute hingegen trifft man sich zum schnacken, tratschen und entspannen. Vielleicht kann man den Sentobesuch noch am Ehesten mit dem Gang in die Sauna oder in die Thermen vergleichen. (Überraschte und belustigte Reaktion der Japaner wird nun vielleicht ein bisschen verständlich. Wie würden wir wohl reagieren, wenn eine Japanerin uns erzählen würde, dass sie ein Uniprojekt über's Saunen durchführt?)

Japanisches Zeichen für Sento

Entgegen der Erwartungshaltung vieler Deutscher und anderer "Westler" (sicherlich auf Grund des schüchternen und zurückhaltenden Auftretens der Bewohner des Landes der aufgehenden Sonne) sind Japaner keinen Falls prüde. Sex ist alles andere als ein tabu Thema und wird zwischen jungen Leuten genauso thematisiert wie innerhalb der Familie (Mutter-Tochter, Vater-Sohn). Diese gesellschaftliche Lockerheit ist jedoch abgekapselt von der traditionellen Haltung, dass Männer und Frauen erst nach der Hochzeit zusammen ziehen, ein dem Status angemessenen gemeinsames Leben führen und schließlich auch Kinder bekommen sollten. Genauso wenig wie Sex als ein peinliches Thema einzustufen, geniert sich der Japaner nicht sich nackt auszuziehen. Wo so manch ein Amerikaner in Ohnmacht fallen würde, wenn man ihn oder sie dazu auffordern würde nackt (nicht im Bikini!) in die Sauna zu gehen, würde bei den Japanern das erwartungsgemäße "Ooooooh" ausbleiben (zumindest wenn alles Geschlechter getrennt bleibt. Im anderen Fall bin ich mir nicht sicher.) So ist es demnach nur natürlich, dass man sich im Sento, wo man sich ja gründlichst wäscht und abschrubbelt, auch nackt bewegt.

Anleitung zum Sentobesuch
Aber mal von Anfang an: Zunächst muss man beim Eintreten natürlich seine Schuhe ausziehen und sie in eine Art Schuhschließfach einschließen. Danach zahlt man Eintritt (ca. 3-5 €) und geht in die geschlechtergetrennte Umkleide (glücklicherweise hatten wir beim ersten Mal japanische Hilfe dabei, sonst wäre es schwierig geworden die japanischen Zeichen auseinanderzuhalten). In den eigentlichen Baderaum nimmt man dann nur ein längliches jedoch schmales Sentohandtuch und einen länglichen Schrubbellappen (gewisse Ähnlichkeiten mit dem handelsüblichen Waschlappen sind zu erkennen, allerdings handelt es sich um ein größeres und schrubbligeres Objekt) mit. Im Baderaum sucht man sich dann zunächst seinen Waschplatz aus. Jeder Waschplatz hat einen Spiegel und zwei Wasserhähne (heiß und kalt) und manchmal auch noch einen Duschkopf. Man nimmt sich einen Plastikhocker (ursprünglich waren die wohl aus Holz) sowie eine kleine Waschschüssel und platziert sich vor dem auserwählten Spiegel. Dann beginnt die Abschrubbelei. Immer und immer wieder füllt man seine Schüssel auf, um sich selbst mit Wasser zu überschütten. Klingt ja eigentlich alles ganz einfach, oder? Trotzdem konnte ich das leichte Gefühl von Panik nicht unterdrücken. Meine größte und wohlbegründetste Sorge bestand wohl darin, dass ich in war ich in lautes Gelächter ausbrechen würde sobald ich splitterfasernackt in traditionell besinnlicher Atmosphäre vor einem Spiegel sitzen würde. Außerdem hatte ich kleiner Dreckspatz Bedenken, ob ich es schaffen würde mich ausreichend abzuschrubbeln, sodass man mir auch Einlass ins Becken gewähren würde. Doch eine Joli kann sich beherrschen, wenn es darauf ankommt und die höflichen Japaner würden es wohl nie wagen, zwei deutsche junge Frauen klar und deutlich anzufahren. So wurde uns Einlass ins gut 40 Grad heiße Becken gewährt, in dem ich es als altbekannter Kaltblüter geschlagene 6 Minuten und 34 Sekunden aushielt bevor ich mich an meinem Waschplatz mit kaltem Wasser überkippen musste. Die geübten und wohltemperierten Sentojapanerinnen pendelten hingegen mehrmals zwischen Waschstation und Becken hin und her.


Dabei halten nicht nur ältere Frauen (für die Männer kann ich natürlich jetzt nicht sprechen, bei denen war ich schließlich nicht im Becken) die Tradition aufrecht, sondern auch Mütter mittleren Alters, Kinder, Studenten oder aber vereinzelte ein wenig verwirrte Touristen.


Wir besuchten insgesamt zwei Sentos und ein Onsen (heiße Quelle). Dabei ist das Prinzip des Onsens dem des Sentos identisch. Der Unterschied besteht darin, dass das Badebecken mit Wasser einer natürlichen heißen Quelle gefüllt ist und meist noch einige weitere Entspannungsangebote vorhanden sind (Sauna, massierende Wasserfälle...). Außerdem sind Onsens meist auch für Tourismus gedacht, während Sentos einfach in jeder x-beliebigen Nachbarschaft (nicht) zu finden sind und von der jeweiligen Gemeinde genutzt werden. So besuchten wir in Tokyo beispielsweise ein sehr altes Sento, in dem gefühlt noch nie ein Ausländer einen Fuß hereingesetzt hatte, sodass der Besitzer, ein älterer Herr, uns vor Schreck erst einmal lauthals an schrie. Erst nach wilder Hin- und Hergestikuliererrei konnte er uns klar machen, dass er lediglich Eintritt von uns haben wollte.


Kein Hinweis darauf, dass das ein Badehaus ist!
Als besonders abwechslungsreich erwies sich die Suche nach diversen Sentos. Da Seeja für ihr Uniprojekt (der Entwurf eines Sentos für die japanische Gemeinde in Düsseldorf) mehrere Badeanstalten von außen fotografieren wollten, durchkämmten wir verschiedenste Nachbarschaften auf der Suche nach den unscheinbaren Bädern. Ein erstes Indiz für die Existenz eines Sentos ist das Erspähen eines Schornsteins, welcher traditionell zu jeder Badeanstalt dazu gehört, doch selbst mit dieser Information ist das Aufspüren eines japanischen Badehauses nicht ganz einfach. Das schönste Erlebnis diesbezüglich hatten wir, als wir auf Verdacht durch einen kleinen Stadtteil Kyotos liefen, einer vagen Information einer schlecht englisch sprechenden Japanerin folgend (Ortsangaben sind beim japanischen nicht-zu-durchblickenden Straßennummerierungssystem auch wieder eine Geschichte für sich). Die Geschichte geht so:

Die sehr, sehr wenig englisch und noch ein bisschen weniger deutsch sprechende Japanerin, hatte uns die ungefähre Position eines Sentos mitgeteilt. Plus-minus 2,45 km. So tigerten wir dem zu Folge relativ ahnungslos durch eine kleine Nachbarschaft Kyotos. Ein erstes Nachfragen in einer Apotheke hatte bereits kein Ergebnis geliefert (die Reaktion "Sento?" im japanischen Singsang gefolgt von "Oooohhh" war uns ja bereits vertraut), sodass wir kurz vor der Sentosuchaufgabe standen. Gerade durchstreiften wir den letzten Straßenzug, als wir eine schon etwas ältere Frau mit einem Fahrrad aus ihrem Haus kommen sahen. Das geübte Auge sagte uns: so sieht eine echte Sentogängerin aus! Also versuchten wir sie (so japanisch höflich wie möglich) nach der möglichen Existenz eines nahe gelegenen Sentos zu fragen. Vollkommen verdattert brabbelte sie irgendwas auf japanisch und sagte immer wieder ungläubig "Sento? Sento?". Dann wies sie uns durch energische Handzeichen an eine Weile zu warten und verschwand ohne Fahrrad sowie bei offen stehender Tür wieder im Haus. Man hörte aufgeregtes Geschnatter und Gepolter. Dann kam sie halb die Treppe runterfallend wieder nach vorne gerannt, im Schlepptau einen zerzaust aussehenden älteren Herrn, der - gerade aus dem Schlaf gerissen - auch noch fast vergaß seine Hausflurschlappen anzuziehen. Mit noch klitzekleineren Japaneraugen beäugte er uns verschlafen, entschuldigte sich in relativ gutem Englisch für seine Zerzaustheit und fragte, wie er uns helfen könnte. Wir, peinlich berührt davon, dass wir gerade einen älteren Herrn aus seinem Frühabendnickerchen gerissen hatten, konnten unsere Frage nach den genauen Koordinaten des nächstgelegenen Sentos nur wiederholen. Woraufhin auch er etwas verdattert "Sento?" sagte. Als schließlich klar war, dass wir es ernst meinen mit dem japanischen Bad, musste die Angelegenheit zunächst ausführlich zwischen dem Ehepaar in japanisch hin- und herdiskutiert werden. Schließlich einigte man sich auf die Lage und Wegbeschreibung des bzw. zum nächsten Sentos. Herr Schlafanzug zeigte uns hilfsbereit die entsprechende Stelle auf dem Stadtplan. Wir bedankten uns wieder und wieder und waren bereit loszumaschieren. 


Doch damit nicht genug. Unsere fahrradschiebende Retterin wollte nicht mehr von unserer Seite weichen und stürmte immer zwei Schritte voraus in die angegebene Richtung. Dabei erzählte sie uns ohne Pause irgendwas auf Japanisch, was ich ab und an mit "sodesuka" - ah, ich verstehe- beantwortete, obwohl ich natürlich gar nichts verstand. Jeder Fluchtversuch in eine abweichende Richtung wurde instantan mit wildem Fuchteln unterbunden. Je näher wir dem Sento kamen, desto besorgter wurde ich, dass sie mit uns ins Bad stürmen und nicht mehr ruhen würde, bis wir vollkommen nackt und blitzeblank gerubbelt im Becken säßen. Dabei hatten wir eigentlich nur vor ein paar Fotos von außen und vom Vorraum zu machen. Endlich am Sento angekommen, riss sie tatsächlich unmittelbar die Eingangstür auf und drängte uns in den Vorraum herein, welcher sich auch noch als bizarrster Sentobadvorraum zählte entpuppte, den wir während der Japanreise kennen lernen sollten. 


Unsere tapfere Helferin begann direkt uns in einem erneuten japanischen Redefluss zu erklären, auf welche Seite die Frauen zu gehen hätten. Glücklicherweise konnten wir zu diesem Zeitpunkt schon genug japanisch um ein zaghaftes "shitte iru" - ich weiß - hervorzubrigen und so befreiten wir uns in letzter Minute doch noch aus den Händen dieses süßen, hektischen, stürmischen, aber sehr, sehr lieben japanischen Engels. (Ein einziger Wehmutstropfen bleibt die Tatsache, dass sie sich strikt weigerte für ein Foto zu posieren.)

Japanische Fortsetzung folgt. Hoffentlich in naher Zukunft. Sayonara.