Freitag, 7. August 2015

Boston Baby!

Vor einiger Zeit fing ich einen Blogeintrag mit dem Titel “Montag Ruhetag – Donnerstag ausverkauft“ an. Inspiration des Ganzen war ein Artikel, den ich kurze Zeit vorher gelesen hatte, in welchem es um eine Studentin ging, die einen kompletten Thailand Urlaub vorgetäuscht hat, um zu zeigen wie verfälscht unsere Außendarstellung in der modernen virtuellen Welt ist. Sie inszenierte den Urlaub mit Hilfe von Fotoshop in sowohl ihrem kleinen WG Zimmer als auch einem lokalen buddhistischen Tempel. Das Lesen dieses Artikels ließ mich selbstkritisch werden und ich fragte mich, ob dieser Blog hier auch eine Art der Lebensverherrlichung ist. Deshalb wollte ich ursprünglich einen kompletten Eintrag all meiner bisher fabrizierten Flops widmen. So wollte ich z.B. mit meinen Eltern zu meinem Lieblings Japaner, welcher an diesem Tag Mittags geschlossen hatte oder zu meiner Lieblingskneipe, welche allgemein Montags zu hat (und vor welcher ich schon an mehreren Montagen immer wieder enttäuscht stand). Ähnlich standen wir mit Freunden vor dem leckersten Fish & Chips der Stadt nur um festzustellen, dass der Stand Betriebsferien hatten. Oder aber, hätte ich erzählen können, wie an dem einen Tag, an dem ich keine Tickets vorbestellt hatte, das Baseballspiel ausverkauft war. Das Herzstück der Blogeintrags sollte das Erwerben zweier sehr teurer Yanni Tickets werden, dessen Konzert allerhöchstens als kulturelle Erfahrung, höchstwahrscheinlich aber eher als Traumatisierung, abgebucht werden kann. Das alles liegt nun allerdings schon ziemlich lange zurück und irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Zug für diese Anekdoten inzwischen schon abgefahren ist. Andererseits könnte einiges meiner letzten Reise nach Boston auch als Marke Unglücksrabe gewertet werden. Doch bei allem Meckern, Jammern und jeglicher Ehrlichkeit muss ich gestehen, dass das Positive am Ende doch oft überwiegt. Und so werde ich diesen Eintrag in 2 Teile teilen (Etappenleser können sich also freuen). Erst der Flop, dann kommt Top.


Teil 1: 83.3% Zufallskontrolle


Vor zwei Wochen war ich gut im Stress. Es war die letzte Woche vor Abgabe meiner Masterarbeit und der Abreise zu einer Konferenz in Waltham, in der Nähe von Boston. Einerseits wollte ich gerne mindestens einen Tag Zeit für Boston einplanen, doch andererseits war ich mir auch im Klaren darüber, dass ich in der Endphase wahrscheinlich jede Minute brauchen würde. So entschied ich mich dazu einen Nachtflug von Vancouver nach Boston zu buchen. Abflug 23:00 Uhr, Ankunft in Boston, 9:24 Uhr, mit Zwischenstopp und Umsteigen in Ottawa. Bei meiner Ankunft am Vancouver Flughafen war der Flug bereits 35 Minuten verspätet. Etwas beunruhigt musste ich feststellen, dass nun der komplette Zeitpuffer meiner Umsteigezeit aufgebraucht war. Naja, Ottawa ist nun auch nicht der größte Flughafen Kanadas und auf so einem 5 stündigen Flug kann man ja auch einiges an Zeit gutmachen.

Auf meinem Mittelsitzplatz durfte ich dann erst mal einen älteren Herrn neben mir begrüßen, den ich kurze Zeit vorher schon in der Flughafenbar erspäht hatte. Mit anständiger Alkoholfahne versuchte er auch so gleich mich in ein Gespräch zu verwickeln. Ich täuschte Sofortschlaf vor, was er als Aufforderung zu nehmen schien seinen Kopf an meine Schulter anlehnen zu dürfen. Nach 3.5 Stunden unruhigen Schlafs und Ausweichsmanövern zur anderen Seite, begann sich eine innere Unruhe in mir auszubreiten, die mit der doch nun sehr knappen Umsteigezeit in Ottawa zu tun hatte. Die letzte Stunde des Fluges verbrachte ich damit auf die „Estimated time of arrival“ zu starren und von einem hoffnungsvollen Zustand (07:04 am) zu einen panischen (07:19 am) zu wechseln. Kaum gelandet drängelte ich mich in guter deutscher (etwas unhöflicher) Manier überall durch und sprintete in Richtung "Connections". Kurz vor der Sicherheitskontrolle erwartete man auch schon einige der „Sprinter“ und wies uns an so schnell wie möglich zum Gate zu gelangen und zu versuchen das Flugzeug noch zu erwischen. Also schnell Schuhe aus, Laptop raus und durch den Metalldetektor. Natürlich wurde ich „zufällig“ ausgewählt entweder eine Körperabtastung über mich ergehen zu lassen oder mich in den „Full Body Scanner“ zu stellen. Diese zufällige Auswahl sollte auch noch die nächsten 4 Male passieren, die ich Security auf dieser Reise passierte. Zunächst aber galt es mit offenen Schürsenkeln und wehender Posterrolle in die USA einzuwandern, wo ein erstaunlich freundlicher Mitarbeiter mich schnell durchwinkte, damit ich es noch zum Flieger schaffen konnte. Am Gate dann jedoch die Ernüchterung: Eine überforderte Air Canada Mitarbeiterin und eine aufgelöste Boston-Reisende eröffneten mir, dass wir den Flug wohl nicht mehr bekommen würden. Wir hatten es zwar rechtzeitig geschafft, hätten aber unser Gepäck abholen und dann neu aufgeben müssen. Da Gepäck generell nicht eigentümerlos in die USA einreisen darf war nicht der Zug abgefahren, sondern das Flugzeug abgeflogen.

Am Ende waren wir eine kleine Gruppe von 6 Reisenden, die von A nach B durch den Ottawa Flughafen gepfercht wurden. Erst zum Gepäck, dann zum Schalter. Dort wurde ich von der langsamsten Bearbeiterin der Welt (ihr Kollege bediente 4 Reisende, während sie mit einer Person beschäftigt war) über Montreal nach Boston umgeleitet. Mrs. „Ich-habe-alle-Zeit-der-Welt“ brauchte dafür so lange, dass ich diesen Flug auch noch fast verpasste, dafür entschädigte man mich aber mit einem $10 Gutschein, den man an allen Flughäfen und Flügen, allerdings nur einmalig, einsetzen konnte. Mit einer Minimaschine, die ca. 30 Leute fasste ging es also in einem ca. 20 Minuten langen Flug nach Montreal. 

Schlecht geschossenes Foto mit kaputter Handykamera des Miniflugzeugs
Dort durfte unsere 6er Gruppe dann die ganze Einwanderei noch mal vollziehen. Ich hatte das ausgesprochene Glück direkt hinter einem über 80 jährigen Ehepaar in der Schlange zu stehen. Gott sei Dank war das Ömchen recht durchsetzungsfähig und so durften beide ihre Schuhe anbehalten. Opi hatte eine Schlurfgeschwindigkeit von ca. 27 25cm-Schlurfs pro Minute und wäre eine perfekte Besetzung für den "100-jährigen, der aus dem Fenster stieg" gewesen. Bei der Passkontrolle wurde dann gerätzelt, warum ich ca. 1 Stunde früher schon mal in die USA eingewandert war und als ich dann endlich am Gate ankam, ging auch schon das Boarding los. Inzwischen körperlich und geistig vollkommen fertig fand ich mich neben einem weiteren Umgeleiteten unserer 6er Vancouver Gruppe wieder und nach einem verhaltenen Versuch ein Gespräch zu beginnen schliefen wir bald auch schon beide tief und fest bis wir schließlich in Boston landeten.

So kam ich also nach gut 12 Reisestunden endlich in Boston am Flughafen an, wobei bei all dem hin und her keine Zeit für irgendeine Form der Nahrungsaufnahme geblieben war. Eine Bus- und eine Bahnfahrt sowie ein 15 minütiger Fußmarsch durchs 32 Grad schwüle Boston später erreichte ich auch endlich das zu Hause meines Freundes Peter. Peter ist ein ehemaliger Kommilitone von mir aus Vancouver, der durch ein Kursprojekt einen Job beim Boston Celtics Basketball team bekommen hat und jetzt eine filmreiche Version des amerikanischen Traumes lebt (er selbst ist Kandier). Peter und sein Mitbewohner begrüßten mich herzlich und ich dachte schon der Tag würde doch noch eine gute Wendung nehmen bis ich meinen Koffer öffnete und feststellen musste, dass mein gesamten Shampoo im Koffer ausgelaufen war. Eine längere Wasch- und Schaumpartieaktion später konnte ich endlich eine erfrischende Dusche genießen. Neue Motivation geschöpft stieg ich dynamisch aus der Dusche aus und spülte noch die restlichen mit Shampoo infizierten Kulturartikel ab nur um dabei die Duschstange abzureißen. Wenn’s einmal läuft...

Die Duschstange konnte repariert werden und ich befand mich kurze Zeit später auf dem Weg nach Downtown Boston. Wie mir Boston so gefallen hat, ist dann doch eher auf der Top-Liste, weshalb ich ab diesem Zeitpunkt auf Teil 2 verweisen möchte. Allerdings sollte noch erwähnt werden, dass ich auf dem Rückweg fast schon wieder meinen Anschlussflug (diesmal in Toronto) verpasst hätte. Meine äußerst fähige Schalterschnecke in Ottawa hatte mir nämlich lang und breit erklärt, dass an großen Flughäfen wie Toronto, Montreal, oder Vancouver das Gepäck automatisch durchgecheckt werden würde, weshalb ich gepäcklos durch den Zoll latschte und dann mit blauem Strafzettel zur Torontoer Flughafen Turmuhr zurück geschickt wurde, um auf jemanden zu warten, der mich wieder zu meinem Gepäck führen konnte. Bevor Ihr jetzt alle denkt „typisch Joli wieder“ möchte ich in meiner Verteidigung sagen, dass sich ca. 10 Leute mit blauem Zettel an besagter Uhr widerfanden, welche allesamt davon ausgegangen waren, dass ihr Gepäck an den Ort auf der Gepäckmarke durchgecheckt werden würde. Aber nun genug beschwert. Weg von diesen deprimierenden Geschichten und hin zur positivien Selbstdarstellung.


Teil 2: Big Papi und das grüne Monstah

Ich kam also ausgehungert und vollkommen übermüdet im Stadtgebiet Boston an. Im Gepäck eine To-Do-Liste von meinem Studienfreund Neil, der ursprünglich aus Boston kommt. Es gab so einiges Abzuklappern, aber da ich ja einen halben Tag durch diverses Fliegerumsteigen verpasst hatte, musste ich die Liste reduzieren. Zunächst war eindeutig eine ausgiebe Nahrungsaufnahme notwendig. Auf ging es also zu Faneuil Hall, wo ich im Getümmel tausender Touristen eine „Hot-buttered-Lobster-roll“ verspeiste. Unmittelbar nach dem ersten Bissen war alles Leid der letzten Stunden vergessen. Lecker! Von da an konnte ich endlich Boston genießen: Ein Streifzug über den „Haymarket“, der mich direkt auf den Bonner Marktplatz ("Fresh Straaaaaawberrrries, $2 the pound...") beamte und ein anschließendes Schlendern durch Boston’s North End, das Italien Nordamerikas ließen meine müde Seele freudig jauchzen. Zurück ging es dann entlang der Landungsbrücken. Aus Vancouver kommend muss ich sagen, dass mir dieser Teil der Stadt am „offenen Meer“ am Wenigsten gefallen hat. Das Wasser ist in Downtown einfach sehr wenig integriert und auch wenn die Aussicht zeitweilig "ganz nett" ist, so kann sie doch nicht mit Vancouver’s atemberaubenden Meerespanorama mithalten. Bevor ich mich dann wieder mit Peter und seinen Freunden traf, gab es noch mal ein bisschen Entspannung im Boston Common Park. Dort lief gerade ein Open Air Shakespeare Festival und außerdem allerlei verrückte Leute rum, welche unbedingt von mir bestaunt werden wollten. So ließ ich mich einfach ein bisschen in Boston’s Multikultur treiben bis es später wieder in Richtung North End für leckeres Brot, frisches Olivenöl und Pasta Vongole ging. 

 
Am nächsten morgen (bevor die Konferenz losging) fuhren wir noch zum Harvard Square und durchstreiften ein bisschen Camebridge und die Unigegend. Insgesamt macht Boston einen sehr europäischen Eindruck. Nachdem man mich vorgewarnt hatte, dass ich mich in den wirren Straßen nur verlaufen würde (da nicht alles im Gittermuster nach den Himmelsrichtungen ausgelegt ist), musste ich feststellen, wie sehr ich Windungen, Kurven und Verschachtelungen im Straßennetz vermisse. Boston, wenn auch keine Großstadt, ist wendig und wuselig und auf jeden Fall einen Besuch wert! Zum Glück hatte ich auch während der Konferenz noch mal das Glück in die Stadt zu fahren, um das berühmt berüchtigte „Clam Chowder“ essen nachzuholen und überhaupt sehr frischen und leckeren Fisch zu spachteln.

Das absolute Highlight jedoch ereignete sich dann am Sonntag. Es begann mit dem Plan einen weiteren Nachmittag nach Boston hineinzufahren. Ich (nicht in der Lage einen Zeitplan richtig zu lesen) hatte in der festen Überzeugung Sonntag Nachmittag frei zu haben 2 Boston Red Sox Baseballtickets erstanden. So begab ich mich (trotz laufender Konferenz - ups) also auf die Suche nach einer Bushaltestelle in Waltham (öffentliches Verkehrsnetz in amerikanischen Vorstätten...), um die lange Reise in die Stadt anzutreten. 

Football field in Waltham
Offensichtlich eine Bushaltestelle
Und wieder schaffte Boston es mich mit seinem europäischen Flair in seinen Bann zu ziehen, als ich entlang der Boston Esplanade in Richtung Baseballstadion ging. Baseball an sich ist nun nicht so europäisch, Boston jedoch ist generell eine Stadt, die absolut sportbegeistert ist. Da ist es auch egal, dass die Red Sox in dieser Saison eher bescheiden abschneiden. Ein Besuch in Fenway Park lohnt sich auf jeden Fall. Ich hatte über Neil (meinen Insiderkontakt) sehr gute Tickets ergattert und so saßen Peter und ich im Grandstand 18, schräg hinterm Schläger, entlang der „first base“.
 

Wie im Baseball üblich, ging es erst einmal mit einigen punktlosen Innings los. Derweil eröffnete ich Peter, dass ich mindesten einen "Homerun" sehen wollen würde. Im vierten oder fünften Inning gelang den Red Sox dann ein mühsam erkämpfter Punkt durch mehrere Hits, bei denen sich jeweils ein Spieler im Schneckentempo von einer Base zur nächsten bewegte. Als die Tigers als nächstes mit Schlangen dran waren folgte die direkte Antwort in Form eines Homeruns. 1:1, na toll. Daraufhin definierte ich meine Anforderungen neu und sagte, dass ich gerne einen Homerun der Red Sox sehen würde. Kurz darauf erwischte David Ortiz den Ball mit voller Wucht und schlug einen Homerun, wobei einige seiner Mitspieler punkten konnten. Die Sox führten nun 5:1. Ziemlich zufrieden mit der Entwicklung der Dinge setzte ich noch einen drauf und verkündete, dass ich ja eigentlich einen Homerun über „the green Monstah“ einer riesig hohen Wand an der Westseite des Stadions gemeint hätte. Und schwups, 40-Jahre alter „Big Papi“ tritt auf die Matte und haut das Ding über das grüne Monstah. Hallelujah, amen. Am Ende gewanen die Red Soxs mit 11:1, was im Baseball eigentlich nie vorkommt. 
Das grüne Monstah starrte uns das ganze Spiel über an.
Unterm Strich kann ich Boston wirklich nur empfehlen. Ein bisschen europäischer als hier an der Westküste und ein kleines Stück mehr wie zu Hause. Ich mag nicht ganz so weit gehen den „Charles River“ mit dem Rhein zu vergleichen, aber steinerne Häuser, Grünflächen entlang des Flusses und Eisdielen an jeder dritten Straßenecke lassen wecken doch die Erinnerungen an das vertraute Europa. 

PS: Wer den „Freedom trail“ in diesem Eintrag vermisst dem lasse gesagt sein: Der Freedom trail ist einfach ständig und überall und dabei ziemlich unspekatakulär. Deshalb fand ich es zu mühselig in extra zu erwähnen..

Sonntag, 7. Juni 2015

Smugglers Cove

Wir haben zwei Fässer Rum, drei Fässer Whiskey und eineinhalb Kilo Tabak geladen. Unser kleines hölzernes Ruderboot schaukelt rhythmisch auf dem ruhigen Pazifik hin und her. Dicker Nebel hängt zwischen den steilen Felsen. Es ist kalt und feucht und ich kann meinen eigenen Atem in der dunklen Nacht verschwinden sehen. Seit einiger Zeit schon treiben wir nun einfach so dahin. Bedrohlich ragen Felsblöcke überall um uns herum aus dem Wasser. Kapitän Hansen sitzt regungslos am Bug des Bootes und wartet auf ein Zeichen von der Küste. Ich spüre wie meine Beine taub werden und beginne darüber nachzudenken wie ich mich unauffällig in eine andere Position begeben könnte. Eingeklemmt zwischen Whiskey und Rum Fässern bleibt mir nichts anderes übrig als auszuharren; wenn ich mir wenigstens ein bisschen was abzapfen könnte... Kapitän Hansen stößt einen kurzen, lauten Pfiff aus und reißt mich aus meinen Gedanken. An der Küste kann ich ganz schwach eine kleine flackernde Flamme erkennen. Es geht los. Ich ergreife eins der Ruder und beginne gleichmäßig zu rudern. Stumm umkreisen wir Felsen um Felsen. Das Boot bahnt sich seinen Weg fast tänzerisch. Inzwischen kennen wir die Gewässer gut. Vor 10 Jahren, bei unserer ersten Fahrt, als wir noch Chinesen in die Bucht schmuggelten, wären wir alle fast drauf gegangen. Damals kam uns das Gewässer wild und gefährlich vor. Laut wurden Befehle übers Deck geschrien, während unser Boot gegen mehrere Felsen schellte und dabei allerlei Lecks erlitt. Als wir vollkommen erschöpft und tropfend nass an der Küste (im wahrsten Sinne des Wortes) strandeten wurden wir direkt von mehreren Eingeborenen umzingelt. 13 Pfeilspitzen bohrten sich in unsere Bäuche. Die verschreckten Chinesen wurden zusammengepfercht und separat von uns weggebracht. Lange 5 Tage verbrachten wir in Gefangenschaft bis wir endlich die Hartnäckigkeit des Häuptlings Haida Ktunaxa brachen und ihn mit unserer Notfallflasche Whiskey auf unsere Seite zogen. Seitdem ist Haida unser Hauptgeschäftspartner.

Doch heute Abend läuft alles glatt. Wir sind ein gut eingespieltes Team und der Shíshálh Stamm erwartet uns bereits. Wir umrunden noch einen letzten kleinen Fels bevor wir sanft am sandigen Strand aufsetzen. Wir rollen die Schnapsfässer in eine kleine Felshöhle und ziehen das Boot noch etwas höher, damit es von der Flut nicht gleich wieder hinaus gezogen wird. Dann machen wir uns auf den Weg zum Stammeslager. 

In Wirklichkeit sitzen wir bei ca. 23 Grad bei strahlendem Sonnenschein auf einem Felsen und schauen in British Columbia’s Smugglers Cove hinab. Heute liegen in der ruhigen Bucht ein paar Yachten, doch irgendwie hat man das Gefühl das wilde Piratenschiffe, schmale von Einheimischen gesteuerte Kanus oder kleine Holzschalen viel Besser in die Szenerie passen würden. 

Den ganzen Weg entlang, von Horseshoebay in Nordvancouver über die sogenannte Sunshine Coast und von dort aus hinüber nach Vancouver Island, begleitet mich ein Gefühl von wildem Entdeckergeist. So vieles scheint hier noch unberührt und unentdeckt zu sein im jungen British Columbia. Während die Sunshine Coast ihrem Namen noch alle Ehre macht und eine warme Frühsommer Sonne auf uns herab strahlt, präsentiert sich Ucluelet an der Westküste Vancouver Islands etwas mystischer. Dichter Nebel hängt vor der Küste und eine unheimliche Stille legt sich über die Strände, nur durchbrochen durch das periodische Tuten des Nebelhorns des örtilchen Leuchtturms. 
Lange Wanderwege entlang der Küste laden dazu ein jeden Tag auf Entdeckungstour zu gehen. Entlang der Strecke stehen immer wieder Bänke, von welchen man in die unbeschreibliche Weite des Meeres oder eben in den Nebel hinaus schauen kann. Das nächst gelegene Festland ist Japan. Und so sitzt man dort, am Ende der Welt.

Leider ist die sogenannte "storm watching" Saison schon vorbei, doch die Bäume entlang der Küste sind von Wind und Wetter gezeichnet. Wie wäre es wohl von hier aus einen kräftigen Wintersturm zu beobachten? Wie sähe das Meer an einem wolkenlosen Sommertag aus? Wie riecht es hier  im Regen? Wie würden sich die Wolken türmen, wenn der Nebel weicht? Ach, wenn man nur ein ganzes Jahr hier verbringen könnte, würde man sich je an dieser Natur satt sehen?

Freitag, 1. Mai 2015

Eine Zugfahrt die ist lustig, eine Zugfahrt die ist schön

Vor einiger Zeit hatte ich Besuch von meiner guten Freundin Mara. In den 22 Jahren, in denen wir uns nun kennen haben wir viele schöne Reisen und auch einige wilde Abenteuer erlebt. So war es für mich selbstverständlich, dass wir neben den Tagen in Vancouver auch noch eine kleine Tour unternehmen sollten. Ich überlegte hin und her. Ich wollte gerne an einen Ort fahren, den wir beide noch nicht kannten und etwas unternehmen, was in gewisser Weise unserer Freundschaft entsprach. Unkonventionell, individuell, dynamisch, und einfach ein bisschen verrückt.

Gott sei Dank lebe ich ja inzwischen in einer Welt unbegrenzter Möglichkeiten, gepflegter Vorgärten und uneingeschränkten Medienangebote. So stieß ich schon bald auf eine bizarre TV Serie, welche die Antwort auf meine Frage zu sein schien: Portlandia. Wikipedia weiß zu berichten: „In der Serie wird das Glokalkolorit [für alle, die über dieses Wort genauso anungslos stolpern wie ich, es handelt sich scheinbar um ein Kofferwort aus den Begriffen Globalisierung und Lokalisierung] der Portlander Hipster bzw. die Kreativ- und Alternativszene in kurzen Sketchen porträtiert und persifliert.“ Die Serie beginnt mit folgender Scene: Zwei Freunde treffen sich in San Francisco. SIE geht grad mit ihrem Hund spazieren und ER ist frisch zurück von einem Besuch in Portland. Portland, Oregon? Ja, Portland, Oregon, ein friedlicher kleiner Staat an der Westküste der USA. Und dann erzählt er in Forme eines Songs: „The dream oft he 90s is alive in Portland"
 

So war also klar, wir würden nach Portland reisen. Eine aufstrebene kleine Stadt, voller Hipsters und Individualisten. Tee, Mocca und Lattes werden nicht in Papp-to-go Bechern sondern in Einmachgläsern durch die Stadt getragen. In allen Restaurants wird frische Ware aus biologischem Anbau verwendet und kann außerdem in einer glutenfreien, vegetarischen oder vegane Variante bestellt werden. Wer sich doch nach einem Stück Fleisch sehnt bekommt sowohl die Lebensgeschichte des zu essenden Tiers präsentiert als auch mehrere Zertifikate über glückliche Tierhaltung vorgelegt. Kleidungsstiele kommen in allen Formen, Farben, Längen, Schnitten, Kürzen, Größen und Anzahlen der Kleidungsstücke vor. Selbstverwirklichungsmöglichkeiten gibt es in Bereichen Bartwuchs, Haarschnitt, Schuhfarbe, Handytaschen, willkürlichen Anhängern and Rucksäcken, Taschen, Röcken, Hälsen, Handys oder Haaren sowie Fahrraddekoration. Denn in Portland fahren alle Fahrrad. Man hat sogar die Helmpflicht abgeschafft um mehr Leute auf die Zweiräder zu bekommen. Alles tummelt sich in Cafés, Kneipen, an zahlreichen Essensständen oder Kombinationen der vorherigen Optionen. Ob Leute arbeiten bleibt unklar. Junge Männer fahren oberkörperfrei in Shorts mit hochgezogenen Socken auf ihren Skateboards durch den normalen Straßenverkehr. Naja, normal ist vielleicht das falsche Wort den zwischen Autos, Fahrrädern und Skateboardern tauchen Leute auf riesigen Artistenfahrrädern auf, die sich jeden Moment den Kopf an Straßenlaternen zu stoßen drohen.
 


Doch trotz aller Farbenfreude, Schrillheit und Flippigkeit der Stadt ist es doch etwas anderes was mir von dieser Reise am Meisten in Erinnerung bleiben wird: Die Zugfahrt von Vancouver nach Portland. Wir nahmen den Zug um 06:30 Uhr morgens in Vancouver, der einzige Zug der die ganze Strecke durchfährt. Zug verpassen war also schon mal keine Option. Planmäßig sollte die Zugfahrt 8½ Stunden dauern, mit dem Auto fährt man etwas mehr als 5 Stunden, die Frage was der Zug in den zusätzlichen 3 Stunden machen würde blieb zunächst unklar. Wir kamen also gegen 06:10 Uhr morgens am Bahnhof an, holten uns einen Kaffee und füllten fleißig Einwanderungs- und Zollformulare aus. Überall standen Hinweisschilder, dass man keine Früchte mit an Bord des Zuges nehmen dürfte. Wir hatten für die lange Zugfahrt Bananen, Orangen und Äpfel gepackt. Naja, erst einmal abwarten. Während der zeitliche Aufwand also gegen eine Zugfahrt zu sprechen schien, zeigte sich schon bald die erste positive Seite: Man brachte den größten Teil der USA Einreise noch vor Betreten des Zuges hinter sich. Nicht nur durften wir unsere Schuhe anbehalten, auch das Grillen der Beamten hielt sich in Grenzen (nicht so bei einer Mitreisenden, die haarsträubende Geschichten angab und versuchte den Beamten davon zu überzeugen, dass sie wirklich nur zum Feiern nach Seattle fahren wollte, wie dieses Drama ausging erfuhren wir dann allerdings nicht mehr). Als also die bürokratische Hürde sowie das obligatorische Schmuggeln von Obst hinter uns gebracht worden war, wurden wir von der netten Schaffnerin auch schon angehalten uns zu beeilen, so ein Zug wartet schließlich auf niemanden. Wir machten uns also auf den Weg, den verlassenen Bahnsteig entlang, zu unserem Abteil. Vor jeder Zugtür stand eine kleine gelbe Trittleiter als Einsteigehilfe, bis die alle in den Zug geräumt worden waren, war wahrscheinlich sowieso noch ein bisschen Zeit. Aber bei über 8 Stunden Zugfahrt will man es sich mit dem Personal ja nicht gleich verscherzen. 
 
 
Wir fanden uns also auf unseren Plätzen ein und stellten enttäuscht fest, dass wir nicht auf der Küstenseite saßen. Der Pazifik würde uns ein großes Teil der Strecke begleiten. Zunächst allerdings galt es die Aufmerksamkeit auf ganz andere Dinge zu richten. Nachdem alle Fahrgäste ausführlich begrüßt, das Wetter besprochen und der detaillierte Reiseplan vorgestellt worden war, wurden Verhaltensregeln im Zug durchgegangen. Stören der Mitfahrenden war zwar nicht direkt verboten, sollte allerdings so gut wie möglich reduziert werden. Besonders wichtig war jedoch der Hinweis, dass das Gehen durch einen fahrenden Zug gewisse Gefahren barg. Ein breiter Gang mit kurzen, aber sicheren Schritten sowie festhalbereiten Händen wurde hier empfohlen. Wir kicherten, wobei wir selbstverständlich versuchten Rücksicht auf die anderen Fahrgäste zu nehmen. Dann ging es los. Oder so etwas ähnliches. Wir tuckerten ca. 5 Minuten durch Vancouver bevor wir zu einem kompletten Stillstand kamen. Das konnte ja heiter werden. In der ersten Stunde der Zugfahrt überschritten wir Jogginggeschwindigkeit kein einziges Mal. Doch irgendwann schien dem Zugführer einzufallen, dass er später am Tag noch eine Verabredung hatte und der Zug nahm langsam an Fahrt auf. Kurze Zeit später erreichten wir auch schon die Grenze. Panisch aßen wir jeder eine Banane und eine Mandarine. Früchte durften ja unter gar keinen Umständen in die USA eingeführt werden. Der Zoll rollte dann allerdings mit einer Geschwindigkeit durch den Zug, von dem der selbige sich eine Scheibe hätte abschneiden können. Mein Häkchen bei „Fruit or Vegetables“ interessierte niemanden. Willkommen in den Vereinigten Staaten von Amerika, das Land der unbegrenzten Sinnlosigkeit.

Kurze Zeit später machten wir uns im breitbeinigen sicheren Gang auf den Weg zum Speisewagen, wo wir uns gleich einen Fensterplatz an der "richtigen" Seite sicherten und zufrieden einen Kaffee schlürften. Der ruhige Pazifik glitzerte in der Sonne. Berge, Möwen, Segelboote, Adler sowie das endlose Meer boten ein echtes Spektakel. Der Zug hatte sich inzwischen auf ein gemütliches aber stetiges Tempo eingelassen und so zuckelten wir zufrieden durch Washington State. Alles war entspannt und gemütlich, die Welt schien ausgeglichen und gleichmütig. Nur bei den Schaffnern schien noch einiges an Stress zu herrschen: „An der nächsten Station steigen jetzt noch 52 Leute zu und dann 23 aus, die Einsteigenden können wir dann ja in Wagen 5 und 6 setzen. Aber dann sind da auch noch die Damen in Wagen 4. Die sitzen auf den falschen Plätzen. Sollen wir die jetzt schon umsetzen oder noch bis Eugene warten?“ Dem Zusteigen jedes einzelnen Fahrgastes wurde in einer Mischung aus freudiger Erwartung und leichter Panik entgegengefiebert. Dass irgendein Fahrgast zu irgendeinem Zeitpunkt der Reise keinen eigenen Sitzplatz haben könnte, schien einem absoluten Desaster gleichzukommen. Ich schmunzelte. Ich hätte die drei gerne mal mit der deutschen Bahn von Köln nach Berlin losgeschickt. Kurze Zeit später war die maximale Stresskapazität erreicht als breit und lang erklärt wurde, dass wir im nächsten Bahnhof erst neue Passagiere einsammeln würden, dann allerdings kurzzeitig rückwärts fahren mussten, um einen entgegenkommenden Zug passieren zu lassen. Es wurde mehrfach darauf hingewiesen dass wir nicht wieder zurück, sondern nur rückwärts fahren würden, und das auch nur kurzzeitig sowie unplanmäßig. Als der Zug dann schließlich rückwärts weiterfuhr blieb die Massenpanik Widererwartens aus. Allerdings hatten wir nun schon knapp eine Stunde Verspätung und das noch weit vor Seattle. Das konnte ja heiter werden.

Die allgemeine Aufregung legte sich dann allerdings ein bisschen. Der Zugführer machte noch eine stolze Durchsage, dass wir gerade an der dritt schönsten Straße der Welt vorbei fahren würden. Wir schauten etwas verdutzt aus dem Fenster, alles was man sehen konnte war ein Trailer-Park. Als der Zugfahrer mit breitem Grinsen zurück spaziert kam wurde klar, dass wir gerade durch seinen Heimatort fuhren. Der kritische Ansturm der Fahrgäste hatte sich gelegt. Man spaßte jetzt. Als wir schließlich in Seattle die Küste verließen und mehr in Richtung Inland fuhren wurde es Zeit für ein Nickerchen. Die ersten Stunden der Zugfahrt hatten sich aufregend und amüsant gestaltet und so war es höchste Zeit 2-3 Stündchen vor sich hinzuschlummern bis es endlich hieß: Nächster Halt Portland, Oregon.