Sonntag, 7. Juni 2015

Smugglers Cove

Wir haben zwei Fässer Rum, drei Fässer Whiskey und eineinhalb Kilo Tabak geladen. Unser kleines hölzernes Ruderboot schaukelt rhythmisch auf dem ruhigen Pazifik hin und her. Dicker Nebel hängt zwischen den steilen Felsen. Es ist kalt und feucht und ich kann meinen eigenen Atem in der dunklen Nacht verschwinden sehen. Seit einiger Zeit schon treiben wir nun einfach so dahin. Bedrohlich ragen Felsblöcke überall um uns herum aus dem Wasser. Kapitän Hansen sitzt regungslos am Bug des Bootes und wartet auf ein Zeichen von der Küste. Ich spüre wie meine Beine taub werden und beginne darüber nachzudenken wie ich mich unauffällig in eine andere Position begeben könnte. Eingeklemmt zwischen Whiskey und Rum Fässern bleibt mir nichts anderes übrig als auszuharren; wenn ich mir wenigstens ein bisschen was abzapfen könnte... Kapitän Hansen stößt einen kurzen, lauten Pfiff aus und reißt mich aus meinen Gedanken. An der Küste kann ich ganz schwach eine kleine flackernde Flamme erkennen. Es geht los. Ich ergreife eins der Ruder und beginne gleichmäßig zu rudern. Stumm umkreisen wir Felsen um Felsen. Das Boot bahnt sich seinen Weg fast tänzerisch. Inzwischen kennen wir die Gewässer gut. Vor 10 Jahren, bei unserer ersten Fahrt, als wir noch Chinesen in die Bucht schmuggelten, wären wir alle fast drauf gegangen. Damals kam uns das Gewässer wild und gefährlich vor. Laut wurden Befehle übers Deck geschrien, während unser Boot gegen mehrere Felsen schellte und dabei allerlei Lecks erlitt. Als wir vollkommen erschöpft und tropfend nass an der Küste (im wahrsten Sinne des Wortes) strandeten wurden wir direkt von mehreren Eingeborenen umzingelt. 13 Pfeilspitzen bohrten sich in unsere Bäuche. Die verschreckten Chinesen wurden zusammengepfercht und separat von uns weggebracht. Lange 5 Tage verbrachten wir in Gefangenschaft bis wir endlich die Hartnäckigkeit des Häuptlings Haida Ktunaxa brachen und ihn mit unserer Notfallflasche Whiskey auf unsere Seite zogen. Seitdem ist Haida unser Hauptgeschäftspartner.

Doch heute Abend läuft alles glatt. Wir sind ein gut eingespieltes Team und der Shíshálh Stamm erwartet uns bereits. Wir umrunden noch einen letzten kleinen Fels bevor wir sanft am sandigen Strand aufsetzen. Wir rollen die Schnapsfässer in eine kleine Felshöhle und ziehen das Boot noch etwas höher, damit es von der Flut nicht gleich wieder hinaus gezogen wird. Dann machen wir uns auf den Weg zum Stammeslager. 

In Wirklichkeit sitzen wir bei ca. 23 Grad bei strahlendem Sonnenschein auf einem Felsen und schauen in British Columbia’s Smugglers Cove hinab. Heute liegen in der ruhigen Bucht ein paar Yachten, doch irgendwie hat man das Gefühl das wilde Piratenschiffe, schmale von Einheimischen gesteuerte Kanus oder kleine Holzschalen viel Besser in die Szenerie passen würden. 

Den ganzen Weg entlang, von Horseshoebay in Nordvancouver über die sogenannte Sunshine Coast und von dort aus hinüber nach Vancouver Island, begleitet mich ein Gefühl von wildem Entdeckergeist. So vieles scheint hier noch unberührt und unentdeckt zu sein im jungen British Columbia. Während die Sunshine Coast ihrem Namen noch alle Ehre macht und eine warme Frühsommer Sonne auf uns herab strahlt, präsentiert sich Ucluelet an der Westküste Vancouver Islands etwas mystischer. Dichter Nebel hängt vor der Küste und eine unheimliche Stille legt sich über die Strände, nur durchbrochen durch das periodische Tuten des Nebelhorns des örtilchen Leuchtturms. 
Lange Wanderwege entlang der Küste laden dazu ein jeden Tag auf Entdeckungstour zu gehen. Entlang der Strecke stehen immer wieder Bänke, von welchen man in die unbeschreibliche Weite des Meeres oder eben in den Nebel hinaus schauen kann. Das nächst gelegene Festland ist Japan. Und so sitzt man dort, am Ende der Welt.

Leider ist die sogenannte "storm watching" Saison schon vorbei, doch die Bäume entlang der Küste sind von Wind und Wetter gezeichnet. Wie wäre es wohl von hier aus einen kräftigen Wintersturm zu beobachten? Wie sähe das Meer an einem wolkenlosen Sommertag aus? Wie riecht es hier  im Regen? Wie würden sich die Wolken türmen, wenn der Nebel weicht? Ach, wenn man nur ein ganzes Jahr hier verbringen könnte, würde man sich je an dieser Natur satt sehen?