Freitag, 21. November 2014

Obamas Socken

Ob ihr’s glaubt oder nicht, ich sitze gerade am Ronald Reagon National Airport und erhole mich von einem Besuch bei Barack Obama. In der Tat musste ich ziemlich erstaunt feststellen, dass Barack in einer ziemlich runtergekommenen Kaschemme wohnt, einem bescheidenen weißen Haus, eins unter vielen. Wenn man sich da hingegen Lincolns momentane Bleibe anschaut, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass man als Amerikanischer Präsident wohl bei einem Attentat sein Leben lassen muss, um es sich schließlich für immer und ewig in einer angemessenen Unterkunft bequem machen zu können.
Hier wohnt Obama, also in dem Haus, nicht dem Iglu
Casa de Licolnd...
...mit Blick auf...
...seinen Lieblingsbleistift
Wie dem auch sei, eigentlich war ich ja auch nur in Washington DC, um mit Obama mal diese Sockengeschichte durchzusprechen. Es ist nämlich so, dass sich amerikanische Flughäfen, Einreisestellen und Fluggesellschaften immer neue Sachen einfallen lassen, um mich zu erheitern. So gibt es z.B. bei allen US amerikanischen Fluggesellschaften nun eine Gebühr von US$23 für die Mitnahme eines Gepäckstücks. Das gilt nicht wie vielleicht erwartet nur für irgendwelche Virgin Low Budget Fluggesellschaften, sondern für ausschließlich alle. Diese brillante Idee kann eigentlich nur von der Kofferindustrie ausgeheckt worden sein. Erfahrene Passagiere haben nun nämlich die Mitnahme von maximaler Menge erlaubten Handgepäcks perfektioniert. Rollkoffer die haargenau in allen 3 Dimensionen die maximale Größe erreichen werden bis aufs möglichste vollgestopft. Was trotz geübtem Stopfens nicht passt, wird in die persönliche Handtasche verfrachtet, wobei die Größe derselben mit der Größe einer Hand nun nicht mehr viel gemein hat. Überhaupt sollte man wahrscheinlich dazu übergehen diese Art der persönlichen Handtaschen einfach Reisetaschen zu nennen. Ironischer Weise führt die Mitnahme dieser 25 x 43 x 61 cm großen Rollkoffer sowie diverser „Hand“taschen dazu, dass nur noch Passagiere mit körperlicher Beeinträchtigung, mit Kindern oder mit der goldenen Mitgliedskarte ihr Handgepäck in den dafür vorgesehenen Gepäckfächern, welche schnell ihre Rollkofferkapazitätsgrenze erreicht haben, verstauen können. Alle später einsteigenden Gäste versuchen in Folge dessen verzweifelt ihren 25 cm hohen Rollkoffer unter den Sitz des Vordermanns zu schieben und sich somit auch noch die letzten 14,5 cm Beinfreiheit zu rauben. Gott sei Dank dienen inzwischen die Sitzkissen als Schwimmwesten, sodass diesbezüglich ein wenig Platz gespart wird. Während also Hunderte von Fluggästen zwischen Rollkoffern, Winterjacken und „Hand“taschen in genau einer möglichen Person im Flugzeug verkrampfen, schlittern die 3 von Reiselaien eingecheckten Koffer im Gepäckraum von einem Ende zum nächsten.

Darüber plauderte ich allerdings nicht mit Obama. Sicherlich wird er zu den Leuten mit einer dieser magischen Goldkarte gehören und sein Gepäck stets im davor vorgesehen Fach verstauen können bzw. das Problem gleich noch viel großflächiger umgehen in dem er einfach seinen Privatjet nimmt. Was mich viel mehr interessierte war folgendes: Warum möchte die USA neuerdings von jedem Einwanderer die Socken sehen? Die einzige logische Erklärung, die mir auf die Aufforderung meine Schuhe bei der Sicherheitskontrolle auszuziehen kam, war eine weltweite Sockenstudie. Und als ich nun endlich mit Barack einen Kaffee schlürfte (selbstverständlich dünner Filterkaffee aus Pappbechern), bestätigte er meine Vorahnung. Die Sockenüberwachungsbehörde der Vereinigten Staaten von Amerika versuchen Licht in eine bisher unerforschte Angelegenheit zu werfen: Wie viel Prozent der Menschen tragen Baumwoll-, Strick- oder Seidensocken? Was ist das bevorzugte Muster? Karo, gepunktet, gestreift, einfarbig? Wie viel Prozent der Weltbevölkerung gehört zu der Kategorie Mixträger? Kann die Anzahl zerlöcherter Socken erfolgreich auf die gesamte Weltbevölkerung hochgerechnet werden? Sind Socken ein geeignetes Mittel führ eine Wahlkampagne (erste Ergebnisse zeigen, dass rund 1435 Obama Socken im Umlauf sind)? Wie viele barfuß Träger gibt es? Auch die Strumpfhosenträger bleiben nicht unentdeckt, wobei bei Kombination aus Jeans und Strumpfhose bisweilen einige Fehlkategorisierungen geschehen sind, sodass die jeweiligen Kategorien Seiden- und einfarbige Socken wohl einige falsch- positive Testergebnisse enthalten werden. Nach einer sehr anregenden Diskussion beglückwünschte Obama mich schließlich zur Wahl meiner eigenen Flugzeugsocken. Ich bedankte mich so höflich wie möglich, musste allerdings zugeben, dass dieselben neuerdings auch zur Kategorie durchlöchert gehören, ich aber froh sei, dass sie in ihrem Leben noch an dieser internationalen Sockenstudie mitmachen durften.
 
Jolis Flugzeugsocken
Der absolute Höhepunkt unseres Kaffeekranzes drehte sich dann allerdings nicht mehr um Socken. Wie Barack mir mitteilte wird in den USA einmal im Jahr der Preis für den oder die geschickteste/n Einreisende/n verliehen (bitte nicht verwechseln mit der im offiziellen Rahmen gegebenen Rede bezüglich der allgemeinen Einwanderungspolitik). Meine letzte Einreise in die USA hatte dabei wohl den Ausschlag gegeben, dabei wurde ich gleich von 3 Beamten gleichzeitig als „dumm aber freundlich“ klassifiziert. Während von einem Schalter ganz weit rechts ein überraschend freundlich aussehender Beamte mir mit ausladenden Bewegungen signalisierte ich sollte seinen Schalter aufzusuchen, wies mich der um einiges weniger freundlich aussehende Schlangenzuweiser an, mich an Schalter 11 einzufinden. Während ich dem Freundlichen gestikulierend mitteilen wollte, dass meine Anwesenheit weiter vorne erwünscht war, verdeutlichte der Unfreundliche seine Zuweisung mit einem lauten „M’am ELEVEN ... ONE and ONE.“ Nun begann auch der Mitarbeiter an Schalter 11 zu winken. Schließlich winkten alle in verschiedene Richtungen und ich bewegte mich in Richtung Schalter 11, da Mr. Unfreundlich inzwischen schon rot anzulaufen begann, während der Freundliche von Schalter >11 nur breit grinste. Die Abfertigung an Schalter 11 dauerte nach diesem Auftritt genau 42 Sekunden. Einer neuer Rekord für nicht-amerikanische Einreisende. Stolz nahm ich die Urkunde entgegen, richtete meine Grüße an Michelle aus und versprach den neu angeschafften Ganzkörperscanner am Ronald Reagon Flughafen auszuprobieren. Obama schüttelte mir fest die Hand und versprach wiederum seinerseits sich etwas neues einfallen zu lassen für meine nächste Einreise in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Montag, 27. Oktober 2014

Von Gaberville bis Squamish – Unberechenbares Nordamerika

Nordamerika – Faszination und Widerstreben. Es sind gemischte Gefühle, die wir (Europäer) dem großen, fernen Kontinent jenseits des Atlantiks entgegenbringen. In heutiger Zeit der Globalisierung werden wir täglich mit diesem einst so fernen Amerika konfrontiert: Im Supermarkt, im Fernsehen, beim Einkaufsbummel durch die Stadt – Lebensmittel, Serien, Filme, Musik, Bücher, Philosophien, Politik und Klamotten, vieles schimmert rot-weiß-blau. Doch was bedeutet es Nordamerikaner zu sein? Sind die meisten Amis engstirnig, sensationsgeil, Waffeneigentümer, uneinsichtig, auf XXL zugeschnitten, oberflächlich und allgemein ungebildet? Sind die meisten Kanadier Eigenbrötler, naiv, Eskimos, drogenabhängig, irrelevant, Holzfäller und mehr interessiert an Eishockey als an politischem Weltgeschehen? (Letzteres lässt sich wohl kaum abstreiten.) Sicherlich sind einige dieser Stereotypisierungen wahr, aber manchmal frage ich mich worauf wir (Europäer) diese Wertungen basieren. So ganz weiß ich selber nicht, worauf ich hier hinaus will. In gewisser Weise geht es darum, dass allein British Columbia 2,5 mal so groß ist als Deutschland und in New York City mehr Menschen leben als in beispielsweise Niedersachsen. Natürlich stimmt es, dass die nordamerikanische Geschichte noch sehr jung ist. Dennoch ist es hier vielfältiger als es uns durch die europäischen Medien oft vermittelt wird.

Wie bin ich überhaupt auf dieses ganze semi-substantielle politphilosophische Geschwafel gekommen? Das ist wohl unter anderem Stuart McLean zu verdanken. Kürzlich las ich sein Buch mit dem schönen Titel „Welcome Home - Travels in Small-Town Canada“. Ich empfehle jedem, der gerne liest und sich vielleicht ja auch ein bisschen für Kanada interessiert, dieses Buch zu lesen. Es ist sehr faszinierend, indem es einfach nur vom kanadischen Leben in verschiedenen kleinen Städten erzählt. Ein Leben, wie es wohl ein Großteil der nordamerikanischen Bevölkerung lebt. So habe ich zum Beispiel erfahren, dass nach dem ersten und vor dem zweiten Weltkrieg fast jeder dritte Kanadier noch als Bauer tätig war. 1990 (als Stuart das Buch schrieb) war es nur noch jeder 25ste und das bei einem landwirtschaftlichen Produktionswachstum von 175%. Diese Information hat mich nachdenklich gestimmt. Urbanisierung findet überall auf der Welt statt , aber was passiert wohl mit den ganzen kleinen Städten, die besiedelt wurden als noch jeder dritte eine Farm besaß? Was machen diese Leute, die früher einmal die Felder bestellt haben? 
 

Schon bevor ich Stuart McLean’s Buch las, begann ich mich für dieses Thema zu interessieren. Die ganze Chose kam ins Rollen, als wir auf unserem Roadtrip eines Nachmittags in Garberville strandeten. (Einschub: Der besagte Roadtrip bezieht sich auf eine Reise, wleche Jan, sein Bruder Ole, Rantanplan (unser Auto) und ich im April diesen Jahres von Vancouver bis San Francisco, entlang des berühmten und wunderschönen Highways 101 und anschließend von San Fran dann weiter zum Yosemite Nationalpark unternahmen. Einschub Ende). Garberville, ein Ort der 2010 genau 931 Einwohner zählte, liegt in Nordkalifornien, ca. 320 km nördlich von San Francisco. Wenn man Garberville googlet findet man folgenden Abschnitt bei Wikipedia: „Marijuana cultivation has replaced timber as the economic driver of Garberville and neighboring Redway. There is a Cannabis College in Garberville, and the town has been called "the marijuana heartland of the U.S." by BBC News."
 
All das wussten wir natürlich nicht als wir in Garberville zum Mittagessen eintrudelten. Wir suchten Rantanplan ein schattiges Plätzchen und liefen ein Mal die Hauptstraße hoch und wieder herunter bevor wir uns dazu entschieden in einem Diner einzukehren. Von unserem Fensterplatz aus konnten wir die Hauptstraße bestens beobachten. Eine Type nach der anderen lief an uns vorbei, von schräg bis schräger, alles dabei. Während wir Burger mit Süßkartoffelfritten mümmelten, kamen wir nicht umhin den etwas verrückten Vibe des Ortes aufzusaugen. Ein Ort voll bunter, ungewöhnlicher und lauter Charaktere. Wir beschlossen uns noch ein bisschen durch den Ort treiben zu lassen. Zunächst betraten wir einen esoterischen Laden mit dem vielversprechenden Laden „Hemp Connection“, der Pullis, Taschen, Aladinhosen, Wasserpfeifen, Bongs und allerlei anderen Krimskrams verkaufte. Zwei Frauen mittleren Alters begrüßten und unterhielten uns mit einem stetigen Redefluss. Es gab kein Entkommen bis wir uns alle drei im Gästebuch verewigt hatten. 
 
 
Hemp Connection!
Kaum waren wir aus dem Laden geflohen wurden wir auch schon von einer bedrogten jungen Frau darüber aufgeklärt, dass wir auf gar keinen Fall Pfeifen oder Bongs im „Hemp Connection“ kaufen sollten, sondern viel besser beraten seien ein anderes Geschäft schräg gegenüber aufzusuchen. Gleiche Ware, niedrigere Preise. Wir zogen es dann doch vor uns vor ein Café ca. 5 Häuser weiter zu setzen und das Geschehen auf der Hauptstraße (also eigentlich auf der einzigen Straße) zu beobachten. Nach ca. 15 Minuten kannten wir gefühlt jeden Einwohner des Ortes. Leute liefen von links nach rechts, von rechts nach links, ins Kaffee und wieder heraus, riefen sich etwas über die Straße zu und schienen allesamt ziemlich wenig anderes zu tun zu haben. Die Versuchung war groß für den Rest des Tages einfach am klapprigen Café Stühlchen sitzen zu bleiben, um auf den neusten Stand allen Klatschs und Tratschs Garbervilles gebracht zu werden. Wir waren jedoch ursprünglich nur für einen kleinen Mittagsimbiss abgefahren, sodass wir uns damit begnügten noch ein paar Souvenire zu besorgen (Supermariopflaster und ähnliches) und uns dann kopfschüttelnd wieder auf den Weg zu machen. Es gibt wirklich Orte, die gibt es nicht.

 
Einen Ort, den es hingegen auf jeden Fall gibt und der sogar nur 70 km von Vancouver entfernt ist, ist Squamish. Squamish entstand während des Baus der kanadischen Eisenbahnstrecke, die Ost und West verbinden sollte. Heute ist Squamish wohl hauptsächlich bei Kletterern und Touristen bekannt, wobei erstere die „Great Wall“ des Stawamus Chiefs bezwingen wollen, während letztere sich von der Sea-to-Sky Gondel auf Mount Habrich fahren lassen. Doch auch wer weder gerne klettert, wandert oder Gondel fährt wird nicht enttäuscht, denn die Fahrt über den sogenannten Sea-to-Sky Highway, welcher sich zwischen Vancouver und Squamish an Wasser und Bergen entlangschmiegt, ist atemraubend.
 
Letzten Sommer durfte ich schließlich erleben, dass in Sqamish nicht nur geklettert und Natur angeschaut wird, denn Mitte Juni verschlug es mich einen ganzen Tag nach Squamish (Jan hatte einen Job in der naheliegenden Woodfibre Site). Los ging’s in aller Herrgottsfrühe an einem vielversprechend sonnigen Samstag. Jeder der sich in seinem Leben schon einmal die unangenehme Erfahrung gemacht hat mir vor 10 Uhr morgens zu begegnen, sollte nun aufpassen! Es gibt doch tatsächlich eine Methode mich wachzubekommen: Man nehme mich mit auf eine kleine Bootstour. Mir wurde nämlich die Ehre erwiesen mit zur Woodfibre Site zu fahren und anschließend per Privattour vom freundlichen Bootsfahrer wieder zurück geschifft zu werden. Eine Bootsfahrt mit Blick auf Squamishs Berge, Wasserfälle und Wald, da huscht sogar Morgengrummel Fooken ein Lächeln übers verschlafene Gesicht. 
 
 
Später erkundigte ich dann Squamish auf eigene Faust. Laut Insiderinformationen gab es in der Ortsbibliothek gemütliche Stühle und einen Kamin, sodass ich beschloss mich mit Stuart McLean erst einmal dorthin zu verziehen. An der Bibliothek angekommen musste ich feststellen, dass die Öffnungszeiten sich auf 10:00-14:00 Uhr beschränkten. Etwas vor den Kopf gestoßen suchte ich also das zweite Café auf, in dem wir nicht gefrühstückt hatten und ließ mich dort in einem Sessel am Fenster nieder. Auch hier sah ich bald schon immer wieder die selben Leute vorbeilaufen. Eine Mutter mit ihrer Tochter, beide fahrradhelmtragend, obwohl sie die Fahrräder bereits irgendwo angeschlossen hatten. Ein Mann mit seinem Hund, Hund stets vorrauseilend. Im Café fand sich derweil ein Stammkunde nach dem nächsten ein. Man besprach die gerade beendete Eishockeysaison und die noch laufende Fußballweltmeisterschaft. Die Tatsache, dass England auszuscheiden drohte, war scheinbar gar nicht gut für die Tipprunde. Nach mehrfachem Hin- und Herlaufen, fand sich schließlich auch noch eine Gruppe spanischer Touristen ein, während im zweiten Stock des Cafés Senioren irgendeinen Kunstkurs besuchten.

Nach einer Weile strömten (naja wohl eher tröpfelten) die vorbeigehenden Leute alle in dieselbe Richtung. Das konnte nur eins bedeuten: Der Farmers Markt ging los. Auch ich machte mich bald auf den Weg zum kleinen Markt. Es dauerte ca. 4 Minuten um einmal durch den gesamten Markt zu streifen. Bio-Eier, Bio-Gemüse, Bio-Huhn, Schmuck, selbstgemachtes Brot und alles zu ziemlich abenteuerlichen Preisen. Ich kaufte mir ein frisches Gingerbeer und ließ mich auf einem Mäuerchen nieder, um das Treiben ein bisschen zu beobachten. Es schienen sich hauptsächlich Althippies und junge Eltern auf dem Markt zu befinden. Neben mir spielte eine Raggieband für ein paar tanzende Kinder und fünf Öhmchens auf Plastikstühlen. Rechts von mir saß eine junge Mutter, die Tee aus einem Einmachglas schlürfte. Es war sonnig und roch nach frischen Obst, Gemüse und Brot. Die Leute grüßten und schnackten und ein paar Mal wurde mir aufmuntert zugerufen, da ich (natürlich) im Deutschlandtrikot unterwegs war. 
 
 
Irgendwann musste ich mich dann doch mal auf den Weg machen, um mir im naheliegenden Brew-Pub das Vorrundenspiel Deutschland gegen Ghana anzuschauen. Auf dem Weg dorthin ging ich noch durch einen kleinen sehr grünen Park, in dem Familien picknickten und eine Jungedgruppe Judo oder Ähnliches lernte. Als ich mich schließlich zum Fußball schauen im Pub niederließ, war ich ziemlich zufrieden mit dem Tag in Squamish. Ein ruhiges, geselliges Leben abseits des wuseligen Vancouvers. Dem geselligen Motto folgend, setzte ich mich mit ein paar anderen deutschen Touristen an einen Tisch, denn egal wo auf der Welt man sich befindet, man kann sich relativ sicher sein, dass man auf deutsche (oder mindestens holländische) Touristen trifft. 
 
Wohlverdiente Ruhe nach aufregendem Tag in Squamish
Auch wenn Garberville und Squamish sich in vieler Hinsicht deutlich unterscheiden, bleibt ein Nachgeschmack von geselliger Schrillheit an beiden Orten. Nachbarn werden nicht beäugt, sondern angesprochen, Kinder und Hunde dürfen frei herumlaufen und sich bis zu einem gewissen Grad daneben benehmen. Die Zeit wird vertreibt man sich anstatt sie davon rinnen zu sehen. Was genau der durchschnittliche Einwohner einer Kleinstadt in heutigen Zeiten so macht, bleibt zu erkunden, doch der Eindruck bleibt, dass in manchen dieser Städtchen das Leben vielleicht nicht ganz so ernst genommen wird, wie anderswo.

Sonntag, 17. August 2014

Alles eine Frage der nationalen Sicherheit

Jeder, der in den letzten Jahren einmal in die Vereinigten Staaten von Amerika gereist ist, wird es kennen: Jeder nicht amerikansche Staatsbürger muss inzwischen eine sehr lästige und beschwerliche Prozedur bei der Landeseinreise über sich ergehen lassen. Wer in den USA einen Anschlussflug erwischen möchte, sollte mindestens 3 Stunden Umsteige- bzw. Einwanderungszeit einplanen. Ähnlich umständlich ist die Einreise via Automobile, zumindest, wenn 3 junge Deutsche es wagen, einen „Roadtrip“ von Vancouver bis San Francisco - einmal die Westküste Nordamerikas herunter - etwas planlos in Angriff zu nehmen.

Ich würde es wagen zu behaupten, dass ich im Laufe der letzten Jahre eine gewisse Routine in Sachen Grenze entwickelt habe. Meine Herangehensweise ist dabei stets gleich: Dumm, aber freundlich. Den Fragenhagel, den man über sich ergehen lassen muss, sollte man stets souverän und möglichst direkt beantworten oder vortäuschen die Frage nicht gehört oder verstanden zu haben. Die Antworten sind eigentlich immer dieselben: Der eigene Arbeitsstatus, die Zieladresse in den USA (oder dem Land, in welches man reist) sowie die persönlichen Beziehungen zu Mitreisenden oder den Lieben, die man am Zielort besuchen möchte und dann natürlich wiederum deren Arbeitsstatus, Zieladresse, Mitgliedsnummern in terroristischen Untergrundorganisationen etc. Nun gilt es nur noch die richtigen Antworten auf die gestellten Fragen zu finden. Des weiteren sollte man ganz genau im Kopf haben, wie viele Waffen, Regenschirme und Blaubärmuffins man versucht ins Land zu schmuggeln. Was man hierbei auf seinem „Customs Form“ angibt scheint dabei eine geringere Rolle zu spielen als man zunächst vermutet. So wurde uns nach 3 stündiger Wartezeit an der Grenze sowie einer ausführlichen Autokontrolle durch die Landwirtschaftsabteilung die Mitnahme einer geöffnete Milchtüte sowie von Äpfel und Nektarinen gestattet, während eine mexikanische Avocado leider draußen bleiben musste. Komisch, dass man in amerikanischen Supermärkten eigentlich ausschließlich Avocados aus Mexiko finden kann. Wie dem auch sei, darum soll es in diesem Eintrag eigentlich überhaupt nicht gehen.

Ich wollte nämlich etwas ganz anderes erzählen, etwas, was ich am letzten Wochenende auf meiner Reise nach Seattle erlebte. Seattle ist in der Tat nur ca. 3-4 Stunden (je nach Aufenthaltszeit bei der Grenzkontrolle) von Vancouver entfernt und so beschloss ich einen Kommilitonen zu besuchen, der zur Zeit ein Praktikum in Seattle macht. Von Vancouver nach Seattle fährt man am Besten mit dem Bus. (Der Zug soll wohl auch sehr schön sein, ist allerdings auch um einiges teurer.) So kam es, dass ich mich eines Freitag Nachmittags in einem Bus in Richtung Seattle wiederfand. Mit dem Bus die Grenze zu überqueren hat den großen Vorteil, dass der Bus eine eigene Expressspur hat, die Busgesellschaft die Grenzstation bei Eintreffen sozusagen vorwarnt und man so relativ zügig abgefertigt wird. Nachdem der Busfahrer und sein Assistent den eigenen Papierkram erledigt hatte, dackelten wir also alle in Reih und Glied ins Grenzhäuschen herein. Internationale voran, US-Amerikaner und Kanadier zum Schluss – bei denen geht es normalerweise ungewöhnlich zügig. Merkwürdiger Weise fand ich mich ganz vorne in der Schlange und schritt (dumm, aber freundlich) auf den nächst besten Grenzbeamten zu. Dieser belehrte mich erst einmal ausführlich darüber, dass ich hätte warten sollen bis er mich aufgerufen hätte und wie ich es denn finden würde, wenn er jetzt meinen Namen in den Haftbefehl eintragen würde, den er gerade noch ausfüllen musste. Ich nickte fürchterlich dumm zu all dem, was er sagte und entschuldigte mich ausreichend freundlich, sodass er sich dann doch noch dazu herab ließ mich zu interviewen. Der Tanz des Fragens und Antwortens begann und als ich mich scheinbar in seinen Augen gut genug geschlagen hatte, bekam ich meinen „Visa Waiver“ und durfte ich passieren.


Kurz war ich noch versucht ihn darauf hinzuweisen, dass Deutschland schon seit einiger Zeit nicht mehr in West- und Ostdeutschland geteilt ist, besann mich dann aber eines besseren, beglich die US$6 Einreisekosten (ausschließlich in US amerikanischen Dollars oder mit Kreditkarte bezahlbar, nur für den Fall, dass hier jemand bald mal in die USA einreisen möchte) und betrat anschließend die vereinigten Staaten von Amerika.

Da ich ja als eine der ersten durch die Kontrolle gegangen war und da im Bus klimatisierte 10 Grad herrschten, beschloss ich mein Gesicht (typisch Deutsch) Nase voran noch ein bisschen in die Sonne zu halten. Schon bald bemerkte ich eine japanische Touristin, die sehr verwirrt vor dem Bus herumstand und mit etwas in ihrer Hand wedelte. Sie versuchte zunächst den Busfahrer etwas zu fragen, dieser konnte ihr stockendes Englisch jedoch nicht interpretieren und verwies sie – dumm aber freundlich – an seinen Assistenten, einen fröhlichen Afroamerikaner mit tonnenschweren tiefschwarzen Rasterlocken. Auch der freundliche Assistent war etwas verwundert auf Grund der Tatsache, dass sie ihm ihr ausgefülltes „Custom Form“ unter die Nase hielt. Wo sie dieses denn abgeben sollte, wollte sie wissen. Wie sich herausstellte, war sie einfach dem Busfahrer hinterher gelaufen anstatt wie alle anderen ins Gebäude und durch die Grenzkontrolle zu gehen. Es braucht also nur eine naive japanische Touristin, um das Sicherheitssystem des sichersten Landes der Welt zu knacken.


Alle mitlesenden US Amerikaner, die jetzt schon aus Angst vor einem japanischen Terrorangriff kräftig in braune Papiertüten pusten, kann ich beruhigen: Die Japanerin wurde vom Busfahrer schließlich doch noch zum richtigen Eingang geleitet und mit dem im Fragenkatalog vorgesehenen Ausforschungen investigiert. Trotzdem sollte Vorsicht gellten. Von mir habt ihr diese Geschichte sicherlich nicht gehört, denn diese omnisöse Nationale SicherheitsAgentur liest ja bekanntlich ALLES mit. Ein Glück, dass „google translator“ deutsch bisher nur im Grundkurs belegt hat.

Samstag, 21. Juni 2014

Blogeintrag 21.06. - Deutschlandzeit

Jan fragt: “Wie ist denn nun Deutschland?“ Ich überlege. Ja, wie ist denn nun Deutschland? In erster Linie ist alles irgendwie klein. Die Autos sind winzig, die Straßen sind eng, die Häuser sind schmal, die Menschen sind schlank, die Portionen überschaubar, ja sogar das Geld scheint irgendwie auf schwer wiegende Minimünzen und Scheinchen geschrumpft zu sein und als ich heute morgen die Spülmaschine einräumte kam ich mir vor wie Gulliver auf Liliput.

Fahrräder existieren, fahren, sonnen sich und parken einfach überall. Vancouver ist für nordamerikanische Verhältnisse schon sehr Fahrrad freundlich. Es gibt viele Fahrradwege und die Umgebung lädt zu Fahrradtouren ein. Aber genau das ist auch der Unterschied: Man benutzt die Fahrräder für längere Touren, Ausflüge oder zur sportlichen Betätigung. Nicht jedoch für schnelle Besorgungen, zum einkaufen oder um mal eben in die Stadt zu fahren.


„Wir Deutsche“ sind also wuselige Miniaturwesen, die durch den Alltag radeln. Doch auch zu Fuß fällt mir einiges auf. Wer ausversehen anrempelt (oder angerempelt wird) entschuldigt sich nicht. Im Gegenteil, mit grimmiger Miene wird der Gegenspieler an den Pranger gestellt und mit funkelnden Augen gemustert. Zu Fuß gehen hat insgesamt etwas Gehetztes, die Leute strömen, drängen, drücken und wuseln, ja sogar das Blindensignal an den Fußgängerampeln animiert eher zum losrennen also zum schlendern. Diese Geschäftigkeit ist irgendwie reizvoll und vertraut, aber gleichzeitig fühle ich mich auch ein wenig gestresst. Überhaupt scheint dieses und jenes jedermann und jedefrau in unglaublichen Stress zu versetzen: Die Sparkasse hat zu viel Kleingeld zu verfrachten, der Mediamarkt zu viel Kunden zu versorgen und die deutsche Bahn bricht schon beim Gedanken ans Pfingstwochenende in Schweiß aus. Kundenservice ist sowieso allen ein Dorn im Auge.

Das Wetter präsentiert sich (ausnahmsweise?) während meiner Zeit in Deutschland von seiner schönsten Seite und so finde ich mich öfter auf Bürgersteigen oder Fußgängerzonen in irgendeinem Café wieder. Restaurants und Cafés sind zu meiner großen Freude sehr viel lebendiger in den Alltag integriert, als in Vancouver. Man sitzt sozusagen mittendrin. Als ich eines Mittags in einem dieser Cafés in der Bonner Fußgängerzone saß, bemerkte ich eine andere Deutschheit, die ich sehr vermisse: „Komm, ich lad dich ein.“, sagte eine junge Frau am Nebentisch zu ihrer Freundin. Einladen. Einladen ist in Zeiten der Kartenzahlung und automatischen Rechnungsaufteilung im Reich der unbegrenzten (eingeschränkten) Möglichkeiten nicht mehr üblich. Wer hätte das gedacht, dass ich von allen Dingen eines Tages die deutsche Gesellig- und Großzügigkeit vermissen würde?
 

Zwei weitere Dinge fallen mir auf: Deutschland ist weniger smart und mehr am qualmen. In Vancouver, einer der gesündesten Städte der Welt (in British Columbia liegt die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen inzwischen bei 96!), sieht man eigentlich nie jemanden rauchen. Deutschland hingegen qualmt. In Cafés, in gelbabgezeichneten Kästen an Bahnhöfen, in Raucherquadraten an Flughäfen, an Straßenecken, an Ampeln, am Rhein, an der Elbe, im Park, im Auto, einfach überall. Ganz überraschend finde ich das allerdings nicht. Es würde quasi schon an Unvernunft grenzen, die Freiheit überall ein Bierchen trinken und eine Zigarette rauchen zu dürfen nicht auch auszunutzen. Eine andere Sucht scheint hingegen noch nicht ganz soweit in den Alltag vorgedrungen zu sein: Handys werden scheinbar hauptsächlich noch zum telefonieren und schreiben benutzt. Zumindest in Bus, Bahn und im öffentlichen Alltag finde ich das Smartphones, Tablets sowie Laptops weniger zu sehen sind und die Leute sich vielleicht doch noch ein bisschen mehr zu sagen haben.

 

So gibt es also nicht die eine Antwort auf die Frage wie Deutschland denn nun sei. Wobei vielleicht doch. Joli zu Jan: „..ich weiß auch nicht, es ist irgendwie deutsch.“


Mittwoch, 28. Mai 2014

Blogeintrag 28.05. - Erna und Ich

Letzt’ unterhielt ich mich auf dem Nachhauseweg mit Erna über Vancouver. Ich: “Was meinst du Erna, was macht Vancouver zu einer der lebenswertesten Städte weltweit?“ Erna: „Wiewüüp, wiewüüp“. Für alle, die Erna noch nicht kennen, Erna ist mein Fahrrad. Genauer gesagt eine treue Seele von einem Rad. Zuverlässig trägt sie mich über Stock und Stein, halsbrecherisch stürzen wir uns Berge runter, wiederstrebend ächzen wir bergauf. Zugegebener Maßen ist Erna nicht gerade die schnellste (daher auch Erna, die Ente), doch dafür möchte ich sie wirklich nicht verantwortlich machen, denn glaubt man dem Aufkleber, den sie trägt, so ist sie schon seit den 70er Jahren unterwegs. Da wir auf ansteigender Strecke oft in hitzige und schweißtreibende Diskussionen geraten, haben wir inzwischen einen Kompromiss ausgearbeitet: Bergauf geht’s mit dem Bus, wo Erna stets vorne auf einer Art „Fahrradstapler“ mit düsen darf, bergab und auf ebener Strecke wird geradelt.

 
So kam es also, dass wir uns letzt’ auf dem Nachhauseweg über Vancouver unterhielten. Es gibt 2 beliebte Fahrradstrecken, die von der Uni nach Kitsilano führen. Eine verläuft direkt am Pazifik entlang, eine wunderschöne Strecke mit Wasser zur linken und Vancouver stets am Horizont auftauchend. Die Strecke ist allerdings insgesamt etwas länger und führt über einen relativ schmalen Fahrradweg, sodass man sich bei gutem Wetter unter starkem Konkurrenzdruck gegen übrige Mitfahrer durchsetzen muss. Erna und ich sind da ja eher von entspanntem Gemüt, sodass wir meist die andere Strecke wählen, die über eine verkehrsberuhigte Straße durch Wohnsiedlungen führt. Vorgärten, sowie Bürgersteige sind begrünt, Autos müssen stoppen, sodass man in schöner Atmosphäre ungestört quietschend nach Hause radeln kann. Die schönste Stelle kommt kurz nachdem man den Campus verlässt, gerade nachdem man auf die 8th Ave. eingebogen und den ersten Berg heruntergejagt ist. Plötzlich taucht Vancouver irgendwo unter einem auf. Es ist total surreal. Erst sieht man noch riesige, schnee-bedeckte Bergketten, dann erscheint ein kleines Stück Pazifik und Vancouver schuhkarton-groß am Horizont. Genau an dieser Stelle, fragte ich also Erna, warum sie denken würde, dass Vancouver als so lebenswert eingestuft wird. 


Man mag es vielleicht nicht glauben, aber wenn Erna einmal anfängt, ist sie echt gesprächig. Eigentlich schnattert sie ständig, bei jedem Tritt sozusagen. Nur selten ist sie mal verstimmt und gleitet stumm durch die Straßen der Stadt. Erna unterbreitete mir also sofort alle möglichen Theorien. Wir waren uns eigentlich einig, dass Vancouvers Skyline an sich nicht so atemberaubend ist. Die Hochhäuser, die Downtown prägen scheinen alle vom gleichen Architekten entworfen zu sein und funkeln in einem kühlen grau/silber den umgebenden Buchten entgegen. 


Auch Downtown ist relativ unspektakulär. Es gibt kein Empire-State-Building, keinen CN-Tower, keinen Eifelturm, oder gar auch nur Bremer Stadtmusikanten. Man muss schon ein bisschen suchen bis man die Schätze Downtowns entdeckt. Der wahre Zauber liegt allerdings in der Tat nicht in der Architektur oder den Sehenswürdigkeiten, der wahre Zauber wird von einem einsamen Kunstobjekt symbolisiert: Dem Pixelwahl. 


Ich habe keine Ahnung, ob der Pixelwal wirklich Pixelwal heißt. Doch als ich vor 2 Jahren eine Stadtführung machte, auf der uns auch der Wal präsentiert wurde, habe ich mich gleich in ihn verliebt. Douglas Coupland entwarf die Statue in Jahre 2009, um den Clash bzw. den Zusammenstoß zwischen Natur und moderner Digitalisierung zu symbolisieren. Und genau das ist es, was Vancouver so besonders, und meiner Meinung nach auch so lebenswert macht. Zunächst einmal ist überall Natur, insbesondere in Form von Wasser. Allein in Vancouvers unmittelbarer Umgebung gibt es 6 Stadtstrände (und das beinhaltet keinerlei Strände in den Vororten sowie Nord oder West Vancouver). An den Stränden liegen riesige Holzstämme, die als Windschutz für Sonnenbader oder Sitzgelegenheit für Sandhasser dienen. An einigen Stränden wird das „Driftwood“ zu Kunst umgestaltet, alles aufgeräumt und naturnah gehalten. Doch auch wenn man nicht am Strand liegt ist das Wasser Teil des alltäglichen Daseins. Robben, Seeadler, riesengroße Monstermöwen (ich bin wirklich der festen Überzeugung, dass diese Möwen kleine Hunde in einem Habs verschlingen könnten), Eichhörnchen (besonders schwarze) sowie Waschbären prägen das Stadtbild. Direkt neben dem Pixelwal starten Wasserflugzeuge genau da, wo bei ruhigem Betrieb Seehunde auftauchen. Doch nicht jeder Mensch mag das Geheule von Möwen, den Geruch des Ozeans oder das Plätschern von Wasser (der Pazifik ist in der Tat sehr pazifisch, von tosenden Wellen kann ich also nicht berichten). Für diese Menschen gibt es allerlei Berge, welche die Stadt umzingeln. 


Bei all dem kommt eins vielleicht ein bisschen zu kurz: Das Großstadtleben. Auch wenn in „Metro-Vancouver“ also dem gesamten Stadtbereich knapp 2.5 Millionen Menschen leben, wohnen im inneren Stadtkern lediglich 600 Tausend. In bestimmten Ecken surrt die Stadt dennoch gerade zur touristischen Hochzeit (also im Sommer) lebendig vor sich hin, doch dazu wird es wohl erst nach dem Sommer mehr zu berichten geben. Im Winter hingegen ist die Stadt auch schon mal ein bisschen einsam und leer (angeblich ist jede/r Vancouverianer/in in jeder freien Minute Skifahren oder Snowboarden). Vielleicht zu viel Digitalisierung und zu wenig Natur in den grauen Monaten?


Ich: „Wir sollten also noch mal den Pixelwal besuchen gehen, Erna.“
Erna: „Wiewüüp, quietsch!“

Mittwoch, 14. Mai 2014

Blog Eintrag 14.05. – It’s been a while!

Trotz guter Vorsätze zum neuen Jahr, stets wiederkehrender „Achja-Momente-der-Blog“ und sehr erlebnisreichen vergangenen 10 Monate, habe ich es versäumt eifrige Reiseberichte nachzulegen. So frage ich mich jetzt: sind ellenlange Reiseberichte noch zeitgemäß? Passen 1500 Wörter persönliche Erfahrungen überhaupt noch zwischen Coffee-to-Go’s, Emailschecken an Bushaltestellen, nur-mal-eben-kurz bei Facebook reinschauen, die spektakulärsten Online-Schlagzeilen, allgemeine Quantität, auf den Punkt gebrachte Kurzinformation der digitalen, modernen Onlinewelt, nur mal eben schnell und zwischendurch? Nun sitze ich hier, gerade mal 27 Jahre alt und schon schimpfend wie rheinische Marktweiber, überrollt von der Kurzlebigkeit unseres alltäglichen Seins, eine Spur altmodisch vielleicht, nichts desto trotz, anpassungsbereit. Anpassen also: In der Kürze liegt die Würze. Der Vorsatz ist gefasst: Informationsschnipsel meines Lebens auf den Punkt kürzen und hochfrequenter aufs digitale Papier bringen. Los geht’s.

Als ich also letztens mit einer Sektflasche (selbstverständlich im nordamerikanischen Papptütenlook) in der einen und einer schwarzen Teflonpfanne, 29 cm im Durchmesser, in der anderen Hand durch Kitsilano lief, fiel mir auf, dass die Leute guckten. Es war kein unangenehmes Glotzen oder aufdringliches Starren, es war eher eine belustigte Interaktion zwischen mir, der Sektflasche, der Pfanne und den andern Fußgängern. Ein kurzes Aufblicken von den Smartphones, Ausstöpseln der Kopfhörer, einen Lachen, ein Nicken, ein flotter Kommentar, erstaunte Blicke, Sonnenschein. Ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus. Nicht etwa, weil ich mittels Sektflasche und Bratpfanne die Nachbarschaft zu erheitern schien, sondern, weil ich mich Teil des Ganzen fühlte. Meine Schritte fanden ihren Weg iwe von selbst, mein Kopf war entspannt. Eben noch zum Metzger, schnell noch beim China-Türken rein, dann noch Grillanzünder im Supermarkt besorgen. Schritte, die noch vor einiger Zeit unbekannt waren, aufregend, neu, nun automatisiert und normalisiert. Angekommen in Kits, die stille kleine Schwester des modernen Vancouvers.


Kitsilano ist also unser, Jan und mein, neues zu Hause. Zwischen internationaler Vielfalt, veralteten „Real-time-hippies“ (so gibt es hier beispielsweise ein 24-Stunden geöffnetes vegetarisches Restaurant direkt gegenüber) und internationalen Berühmtheiten, die sich riesige Häuser direkt an den Pazifik setzen, versucht der Stadtteil einen Mittelweg aus hipper, spießiger, weltoffener Kleinbürgerlichkeit zu finden. Abenteuerlich zusammen gehämmerte Holzhäuser in allen, Farben, Formen und Größen, phantasievoll gestaltete Gärten, schattenspendende Kastanien, Platanen, Kirschblüten- und Ahornbäume; letztere U-förmig zurecht geschnitten, um neben dem oberirdischen Stromnetz friedlich zu existieren. Liebevoll angelegte, beblumte Minik-Kreisverkehre auf den Nebenstraßen, elektrische Busse auf den großen Verkehrsadern. Kleine Geschäfte neben angesagten Cafés, größeren Ketten, Supermärkten oder Obst- und Gemüsehändlern auf der 4th Avenue und dem Broadway, alte Autoreifen und Holzbretter zu Schaukeln und Kletterhilfen zurechtgeschustert in, um, und an Bäumen befestigt in den übrigen schachbrettförmigen Straßen des Stadtteils.
 



Wie es sich für Vancouver-Neuling so gehört, wohnen wir in einem sogenannten „basement apartment“, kühle, dämmerige, finanzierbare Gemütlichkeit zwischen inflationären Preisen auf Vancouver’s Wohnmarkt. Aber wen stören schon niedrige Decken und graues Morgenlicht, wenn der Pazifik einen Steinwurf entfernt ist, das Gemüse in den eigenen Beeten eingepflanzt ist und eine eigene kleine Terrasse nur darauf wartet für den Sommer hergerichtet zu werden? So lebt es sich hier vor sich hin; schnell gefundener Alltag im überschaubaren Kitsilano, irgendwo im Südwesten von Kanadas großer Stadt im Westen.

        Vancouver in der Ferne. 20 minutes down the road...
3rd Avenue, Blick auf unsere Straße
 Einen Steinwurf entfernt: Der "secret beach"