Episode 1: Geduld ist die Kunst, nur langsam wütend zu werden (japanisches Sprichwort)
Wir Deutschen beschweren uns ja schon mal gerne über das öffentliche Nahverkehrnetz, die deutschen Bahn oder einfach den allgemeinen fürchterlichen Zustand jeglicher Verkehrssysteme. Ich, als leidenschaftlicher über-den-Bus-Beschwerer-und-Aufreger stöhne meistens am Lautesten. Doch jedem, der sich über deutsche Züge, Busse oder Bahnen beschwert, kann ich nur einen Auslandsaufenthalt im Nahverkehrsentwicklungsland Australien empfehlen.
Es begann alles bereits früh am morgen meines ersten Arbeitstags, als ich sehr verwirrt an der Bushaltestelle vor Jonas Wohnung folgende Hiobsbotschaft zu lesen bekam:
Glücklicherweise stellte sich die Aufgabe 7 Meter näher an unseren Hausausgang ranzugehen als nicht zu schwierig heraus, doch während einige von euch vielleicht (zurecht) über dieses Schild schmunzeln werden, fass es das größte Problem der Busfahrerei hier sehr gut zusammen:
„...and ensure the driver can clearly see you hail.“
An besagtem “Brunswicks St“ stop 9 ist das noch nicht das Problem, da die Haltestelle zu meist von mehreren New Farmern (so heißt der Bezirk, in dem ich lebe) bevölkert ist und ich so darauf vertrauen kann, dass einer meiner australischen Mitwartenden in der Lage ist die richtige „Hailtechnik“ anzuwenden. Ich hingegen muss mich voll und ganz darauf konzentrieren herauszufinden, ob ich nun in einen Expressbus steige, der dann regelmäßig an meiner Umsteigehaltestelle vorbeirauscht und direkt in die Stadt fährt oder ob mich der Bus bequem im Valley absetzt.
Sollte ich es also erfolgreich geschafft haben das Valley zu erreichen (zur Erinnerung: 7 Meter zurück gegangen, Bus hat angehalten, ich bin in den richtigen Bus eingestiegen bzw. rechtzeitig ausgestiegen), beginnt der schwierige Teil der Busfahrerei. Es ist nämlich so, dass der Taigum Express, den ich am Besten zur Arbeit nehme, nur ca. halbstündig fährt. Dabei heißt es auf der Translink (Brisbaner Verkehrssystem) Seite, dass man damit rechnen muss, dass der Bus bis zu einer Viertelstunde vor der angegebenen Zeit ankommen kann, wobei er tatsächlich jedoch ca. 10 Minuten später kommt. Nun befinde ich mich also jeden Morgen in der Situation abzuschätzen, ob der Bus nun schon da war oder eben noch nicht. Das ist von daher wichtig, da der andere Bus (der zwar etwas länger braucht und bei dem ich weiter laufen muss), den ich noch nehmen kann, von einer Haltestelle 95 Meter weiter unten auf der Straße abfährt. Was mich nun wieder zu der richtigen Hailtechnik zurückbringt. Denn ein Bus hält nicht an, wenn man nicht unter dem Haltestellenschild steht und eben vollkommen korrekt hailt. Aber sas ist denn eigentlich nun „hail to the driver?“. Folgendes Abbildung macht die richtige Technik und Positionierung deutlich:
Wichtig dabei ist, dass der Arm genau den richtigen Winkel zum Rest des Körpers hat, wobei man bei Ausführung des Hails nah genug an der Straße stehen muss, um vom Busfahrer als erfahrener Hailer erkannt zu werden, aber weit genug weg, um nicht vom Bus überfahren zu werden. Sollte man z.B. Blickkontakt mit dem Busfahrer haben und diesem kurz zunicken, so nickt dieser freundlich zurück und rauscht an einem vorbei. Gleiches gilt für winken oder panisches Rennen (wobei eine Kombination aus beiden schon mal zu Erfolg führen kann). Ihr seht, es ist nicht so einfach einen australischen Bus davon zu überzeugen, dass man gerne mitfahren möchte.
Sollte man es schließlich in den Bus geschafft haben, gilt es sich und sein Gepäck so gut zu sichern wie eben möglich. Eine Busfahrt nach Chermside steht jeglichem Fahrgeschäft auf den Wiesen in nichts nach (außer vielleicht, dass es im Bus keine Möglichkeit gibt sich anzuschnallen). Während man also abwechselnd sich selbst von der Decke des Busses oder sein Gepäck vom Vordersitz auflesen muss, gilt es genaustens auf den Weg zu achten. Die Vorzüge eines Ansagesystems (selbst wenn erfahrene Kritiker jetzt anmerken werden, dass man deutsche Ansager sowieso nicht verstehen kann) sind noch nicht bis nach Australien durchgedrungen und ähnlich wie das richtige Hailen will das abgepasste Drücken geübt sein. Da der Bus in der Regel mit ca. 70 kmh über die Straßen brettert, darf man nicht so spät drücken, dass der Bremsweg für ein abruptes Stoppen nicht ausreicht. Hingegen darf auch nicht so früh gedrückt werden, dass man sich noch an der vorherigen Haltestelle befindet, denn dann scheint es eine moralische Verpflichtung zu geben genau an dieser Haltestelle auch auszusteigen.
Inzwischen bin ich natürlich ein erfahrener Profihailer und drücke mit eingeübter Coolness immer genau im richtigen Zeitpunkt. Und wenn man sich richtig zwischen die Sitze klemmt, kann man sogar ein paar Seiten während der Busfahrt lesen...
Episode 2: Deutsche Invasion in der Lab
Während ich im letzten Jahr noch als echte Exotin im Lab galt und nur mit einer Französin konkurrieren musste, bin ich inzwischen nur noch eine unter vielen. Tatsächlich würde ich nun mit Australischer Staatsangehörigkeit der Minderheit angehören. Während Michael eisern die grün-goldenen Farben aufrecht hält, lässt sich Shaun nur noch ein- bis keinmal die Woche blicken und Daniel ist inzwischen auch schon nach Europa geflohen, sodass Amtssprache im Lab nun zu Deutsch erklärt wurde (Michaels Sprachkenntnisse werden täglich besser).
Die restliche Belegschaft setzt sich wie folgt zusammen:
Frank, ein echter Dresdener Ingenieur, macht seinen gesamten Doktor hier. Jo, ein ehemaliger RWTHler, macht gerade Zwischenstation in Brisbane während seines Work and Travel Jahrs. Matthias, ein noch aktueller RWTHler, macht hier ein halbjähriges Praktikum. Neben uns Deutschen bringen David, ein kolumbianischer Masterstudent, und Yu („who me?“,“no not you, Yu...“) ein japanischer Masterarbeiter ein wenig Internationalisierung in den Arbeitsalltag. Nur am traditionellen Student-Monday erinnert man sich wieder, dass wir hier eigentlich in einer australischen Arbeitsgruppe sind.
Die gesamte Truppe (einschließlich der Studenten) ist inzwischen so angewachsen, dass unser letztes monatliches Treffen, an dem jeder sein Projekt und seine Arbeitserfolge kurz vorstellt, über 2,5 Stunden gedauert hat. Es wird also an allen Ecken und Enden des künstlichen Herzens eifrig optimiert und gebastelt.
Die Arbeit an sich ist nach wie vor sehr interessant. Während ich mich im alltäglichen Arbeitsbetrieb immer mit einer Wasser-Glyzerin Mischung einsaue, die die Viskosität von Blut imitieren soll, war wohl der spannendste Teil bis jetzt Shaun bei Versuchen am zunächst tierischen und schließlich sogar menschlichen Herzen zu assistieren. Wobei es genau bei diesen Versuchen ging, kann ich aus Geheimhaltungsgründen (beim Wort Patent hab ich reflexartig abgeschaltet) natürlich nicht erzählen, aber die Erfahrung ein Herz aus einer Leiche zu explantieren und danach Versuche damit zu machen, war wirklich ziemlich krass.
Dabei musste ich auch feststellen, dass an mir ein großes chirurgisches Talent verlorengegangen ist, als ich mit geübter Nadelführung die Löcher in der Herzwand wieder zunähte.
Episode 3: Die Qual der Wahl
Während ich seit meiner Ankunft in Brisbane von Meer, Sonne und Strand träumte, hatte Jonas da ganz andere Pläne für seine kleine Schwester. An meinem ersten Wochenende in „Queensland – Sunshine State“ standen Landtagswahlen an. Jonas hatte für diesen Tag eine große Versuchsreihe für seine Promotion geplant und so machten wir armen Würmer uns Samstag morgen um 06:00 Uhr auf den Weg mit Herzmessgeräten und Fragebögen bewaffnet, und bauten unser „Versuchslabor“ neben dem Wahllokal auf.
Bei der Studie ging es darum zu schauen, wie sich die Herzrate ändert, wenn Leute wichtige Entscheidungen treffen (so z.B. das Kreuz bei einer Wahl setzten) und ob es einen Zusammenhang zwischen ökonomischen Entscheidungen und ihrer Wahlentscheidung, ihrem Wohnsitz und anderen Eigenschaften (deshalb der Fragebogen) gibt. Während wir also in einem Wahlbezirk unsere Zelte aufgeschlagen hatten, besetzte ein anderes Team einen anderen. Beides Bezirke, in denen die Entscheidung zwischen Labour und Liberals noch ziemlich knapp ausfallen könnte.
In Australien herrscht Wahlpflicht und das allgemeine Wahlkampfprinzip scheint vorzusehen, dass man die Wähler am Eingang der Wahllokale noch von seiner Partei überzeugt. So mussten wir uns zwischen überdrehte Wahlkämpfer quetschen und die genervten Leute davon überzeugen, dass wir Forschung für die Uni machen wollten anstatt Werbung zu verteilen. Besonders erschwert wurde diese Aufgabe durch Kate Jones, die Kandidatin der Labourpartei für diesen Bezirk.
Unermüdlich sprang sie vor jeden ankommenden Wähler, ergriff sogleich eine freie Hand und schleuderte den verwirrten Ankommenden mit ihrem immer grinsenden Gesicht ein fröhliches „hey, how you’re doing?“ entgegen. Dies führte nun dazu, dass die Leute zu geschockt von diesem Zusammenstoß waren, als das sie sich auf Uniresearch hätten einlassen können oder aber sie hatten es geschafft ein Schlupfloch zu finden und stürmten froh der Gefahr entkommen zu sein direkt ins Wahllokal.
Erst als wir den Hintereingang, bei dem wir uns nur von den Hotdogverkäufern abheben mussten, auch noch sicherten, konnten wir eine halbwegs stetige Erfolgrate aufweisen.
Letztendlich schafften wir es aber doch ca. 80 Leute davon zu überzeugen während des Wählend einen Herzmonitor zu tragen und anschließend einen Fragebogen auf Ipads auszufüllen. Und das ganze in nur 10 Stunden.
Als wir schließlich diesen ersten sonnigen Tag, den ich in Brisbane erlebt hatte, hinter uns gebracht hatten, waren wir so platt, dass wir gegen 21:00 Uhr schon soweit waren ins Koma zu fallen. Ich versuchte mich noch etwas länger wach zu halten, da ich fürchtete, dass mich die überdrehte immerzu lachende Kate bis in meine Träume verfolgen würde. Das tat sie dann schließlich glücklicherweise nicht, vielleicht auch weil die Labour Party die Wahl hoffnungslos verloren hatte.
Auf jeden Fall blieb am nächsten Tag ausreichend Zeit an die Gold Coast zu fahren und endlich ins Meer zu springen (auch wenn es am nächsten Tag natürlich äußerst bewölkt war...).