Samstag, 21. Juni 2014

Blogeintrag 21.06. - Deutschlandzeit

Jan fragt: “Wie ist denn nun Deutschland?“ Ich überlege. Ja, wie ist denn nun Deutschland? In erster Linie ist alles irgendwie klein. Die Autos sind winzig, die Straßen sind eng, die Häuser sind schmal, die Menschen sind schlank, die Portionen überschaubar, ja sogar das Geld scheint irgendwie auf schwer wiegende Minimünzen und Scheinchen geschrumpft zu sein und als ich heute morgen die Spülmaschine einräumte kam ich mir vor wie Gulliver auf Liliput.

Fahrräder existieren, fahren, sonnen sich und parken einfach überall. Vancouver ist für nordamerikanische Verhältnisse schon sehr Fahrrad freundlich. Es gibt viele Fahrradwege und die Umgebung lädt zu Fahrradtouren ein. Aber genau das ist auch der Unterschied: Man benutzt die Fahrräder für längere Touren, Ausflüge oder zur sportlichen Betätigung. Nicht jedoch für schnelle Besorgungen, zum einkaufen oder um mal eben in die Stadt zu fahren.


„Wir Deutsche“ sind also wuselige Miniaturwesen, die durch den Alltag radeln. Doch auch zu Fuß fällt mir einiges auf. Wer ausversehen anrempelt (oder angerempelt wird) entschuldigt sich nicht. Im Gegenteil, mit grimmiger Miene wird der Gegenspieler an den Pranger gestellt und mit funkelnden Augen gemustert. Zu Fuß gehen hat insgesamt etwas Gehetztes, die Leute strömen, drängen, drücken und wuseln, ja sogar das Blindensignal an den Fußgängerampeln animiert eher zum losrennen also zum schlendern. Diese Geschäftigkeit ist irgendwie reizvoll und vertraut, aber gleichzeitig fühle ich mich auch ein wenig gestresst. Überhaupt scheint dieses und jenes jedermann und jedefrau in unglaublichen Stress zu versetzen: Die Sparkasse hat zu viel Kleingeld zu verfrachten, der Mediamarkt zu viel Kunden zu versorgen und die deutsche Bahn bricht schon beim Gedanken ans Pfingstwochenende in Schweiß aus. Kundenservice ist sowieso allen ein Dorn im Auge.

Das Wetter präsentiert sich (ausnahmsweise?) während meiner Zeit in Deutschland von seiner schönsten Seite und so finde ich mich öfter auf Bürgersteigen oder Fußgängerzonen in irgendeinem Café wieder. Restaurants und Cafés sind zu meiner großen Freude sehr viel lebendiger in den Alltag integriert, als in Vancouver. Man sitzt sozusagen mittendrin. Als ich eines Mittags in einem dieser Cafés in der Bonner Fußgängerzone saß, bemerkte ich eine andere Deutschheit, die ich sehr vermisse: „Komm, ich lad dich ein.“, sagte eine junge Frau am Nebentisch zu ihrer Freundin. Einladen. Einladen ist in Zeiten der Kartenzahlung und automatischen Rechnungsaufteilung im Reich der unbegrenzten (eingeschränkten) Möglichkeiten nicht mehr üblich. Wer hätte das gedacht, dass ich von allen Dingen eines Tages die deutsche Gesellig- und Großzügigkeit vermissen würde?
 

Zwei weitere Dinge fallen mir auf: Deutschland ist weniger smart und mehr am qualmen. In Vancouver, einer der gesündesten Städte der Welt (in British Columbia liegt die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen inzwischen bei 96!), sieht man eigentlich nie jemanden rauchen. Deutschland hingegen qualmt. In Cafés, in gelbabgezeichneten Kästen an Bahnhöfen, in Raucherquadraten an Flughäfen, an Straßenecken, an Ampeln, am Rhein, an der Elbe, im Park, im Auto, einfach überall. Ganz überraschend finde ich das allerdings nicht. Es würde quasi schon an Unvernunft grenzen, die Freiheit überall ein Bierchen trinken und eine Zigarette rauchen zu dürfen nicht auch auszunutzen. Eine andere Sucht scheint hingegen noch nicht ganz soweit in den Alltag vorgedrungen zu sein: Handys werden scheinbar hauptsächlich noch zum telefonieren und schreiben benutzt. Zumindest in Bus, Bahn und im öffentlichen Alltag finde ich das Smartphones, Tablets sowie Laptops weniger zu sehen sind und die Leute sich vielleicht doch noch ein bisschen mehr zu sagen haben.

 

So gibt es also nicht die eine Antwort auf die Frage wie Deutschland denn nun sei. Wobei vielleicht doch. Joli zu Jan: „..ich weiß auch nicht, es ist irgendwie deutsch.“